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666 – Das höllische Jubiläum des Stirnhirnhinterzimmers

Ein Lesebühnenerlebnis.

Donnerstagabend bildete sich eine beachtliche Schlange mitten in der schummrigen Z-Bar in Berlin Mitte. Wo diese Schlange hinführte war nicht ersichtlich, die nächsten Örtlichkeiten waren doch tatsächlich die Toiletten. Irgendwann öffnete sich aber irgendwo eine Tür und ein schwarz gekleideter, hagerer Mann ließ die Menge in einen dunklen kleinen Kinosaal hinein. In blutiger Schrift wurde das Motto des Abends auf die Leinwand projiziert: „Hier können Sie das Fürchten lernen“.
Wir schoben uns an der Kasse vorbei und einem riesigen Berg von Büchern, hin zu den Kinosesseln des mit dunkelrotem Stoff verhangenen Zimmers. Und vorne saßen sie schon an einem viel zu kleinen Tisch gedrängt: die Autoren dieser Berge von Büchern, die Meister der Anzüglichkeit, der Epik und des Skurrilen.

Boris Koch, dann ein Markolf Hoffmann nur entfernt ähnelnder Typ namens Jakob Schmidt und in ihrer Mitte Christian von Aster. Alles etablierte Autoren, die die deutsche Verlagslandschaft in beeindruckender Häufigkeit mit ihren Publikationen bereichern. Und sie lassen es sich nicht nehmen, jeden 2. Donnerstag im Monat einem kleinen, auserlesenen Kreis im Stirnhirnhinterzimmer ihre Geschichten darzubieten.

erl StiHiAster2Es war diesmal kein gewöhnlicher 2. Donnerstag im Monat. Das Stirnhirnhinterzimmer feierte seinen sechsten Geburtstag. So stand auch ein klitzekleiner Kuchen mit einer winzigen Kerze auf dem mit Manuskripten und Autorenarmen beladenen Tischchen und die moderne Technik machte es möglich, dass die Kerze ein Geburstagsständchen trällerte. Eine (nach Weisung des Z-Bar-Besitzers Günni)  ungeöffnet zu bleibende Tüte Konfetti flog durch die Luft und von Aster hob dröhnend zur Begrüßungsrede an. Wie immer viel mehr der Fantasie als der Realität verpflichtet, schilderte er uns „Pilgern des Geschmacklosen“ die Entstehungsgeschichte des Stirnhirnhinterzimmers und seiner durch des Teufels Hand geschaffenen Autoren.

Und uns wurde auch erklärt, dass nicht etwa Jakob Schmidt von der Lesebühne Schlotzen und Kloben sondern tatsächlich Markolf Hoffmann vor uns säße. Er habe nur eine missglückte Schönheits-OP hinter sich. Markolfs epische Schreibkunst sei dabei aber nicht verloschen.
So las “Markolf” seine „Kurzgeschichte“ Der Auserwählte. In der modernen Fantasygeschichte um Verrat, Lug und Trug ließ die Pointe zwar episch auf sich warten, dazwischen gab es aber ausreichend Lacher im Publikum.
Anschließend war Boris Koch an der Reihe und in Nummer 666 zog er über das höllische Praktikantendasein her. Gummipuppenbefriedigung und Pilzrausch gehören bei den teuflischen Autoren also zur Ausbildung.
Plötzlich war auch schon Pause und wir durften alle ein Stück von dem kleinen Geburtstagskuchen probieren.

erl StiHiSchmidt2Wirklich gänsehaut- und gleichzeitig lachkrampferzeugend war dann aber vor allem die zweite Hälfte des Abends. Die Geschichten wurden düsterer und verschrobener. In von Asters Geschichte Querfurter Vergebung drehte sich um das ausbeuterische Geschäft der Ablassbriefe. Raubritter, gierige Geschäftsmänner und Mönche, alle rissen sich die lukrativen kleinen Scheinchen unter den Nagel. Aber keiner wurde glücklich oder reich, denn nach und nach starben sie auf mysteriöse Weise.
Markolf Hoffmann II erzählte in Der Wintermann von einer finsteren Gestalt, die ihren Opfern die Haut abzieht. Das ist nicht gerade angenehm, aber praktischerweise eignet sich der blutrünstige alte Mann auch zur Entsorgung anderer ungeliebter Personen. Man muss eben nur wissen wie…

Als dann von Aster das Buch Mein fahler Freund auf den Tisch legte, (ein Liebesroman, der sich nicht um einen gutaussehenden Vampir dreht, sondern um einen schon etwas gammligen Zombie), fing das Publikum das Jubeln an. Es kündigte sich Boris Koch mit seiner geliebten Reihe Mein Hauszombie Ewald an. Auch Kochs modernder Mitbewohner hat die Schmonzette des Klett-Cotta-erl StiHiKoch2Verlags in die verwesenden Finger bekommen und sah sich schon voller Freude als der neue Traummann aller jungen Mädchen. Wird man also in einer dunklen Gasse von einem grunzenden Zombie angeschäkert, will er einen nicht unbedingt verspeisen – auch Zombies haben romantische Bedürfnisse.
Zum Abschluss gab es dann noch mal einen dichterischen Erguss aus von Asters Balladensammlung zu hören. Sammelsurium Toxicum war ein ganz im Klassikerstil vorgetragenes Gedicht, vermischt mit dem höllischen Humor des Abends. Wieder wurde vergiftet, gestorben und gelacht.

Dann war die morbide Vorstellung auch schon zu Ende. Von Aster verabschiedete uns: “Uns war es ein Vergnügen, ihr wart ein – Publikum“ und kündigte für die nächste Lesung, inspiriert von „Markolfs” wundersamer Verwandlung, als Thema Schönheits-OPs an.

Oliver Schwab

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