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Surfpoeten (Berliner Lesungen 4)

Jeden Mittwoch Im KdR (inzwischen Haus 13)

Meine erste Lesebühne in Berlin habe ich natürlich hier bei Periplaneta erlebt. Schon zweimal war ich nun bei Vision und Wahn dabei, es wurde aber langsam Zeit, sich auch mal bei „den Anderen“ umzusehen. Die Anderen waren in dem Fall die Surfpoeten, eine der legendären Lesebühnen, die doch tatsächlich wöchtentlich stattfinden…

Ich machte mich auf den langen Weg von der Bornholmer Straße 81a zur Pappelallee 81. Ein bisschen zu früh, gegen 20 Uhr komme ich am Klub der Republik an, der als solcher von außen nur schwer zu erkennen ist. Ich warte also, bis sich ein kleine Truppe im Hinterhof zusammenfindet und mir den Weg zeigt. Ich muss eine gefährlich aussehende, löchrige Treppe rauf, durch eine braune Schwingtür und finde mich bald in einem kleinen, braunen, verrauchten Gang wieder, dem ich nach links folge.

Der Klub der Republik ist in schummeriges, rotes Licht getaucht, Sitzreihen aus gepolsterten, braunen Stühlen vor einem einzelnen Mikrophonständer und ein paar gleichfarbige Sitzgarnituren in den Ecken. Eine Diskokugel ziert die Decke über dem DJ Pult, auf welchem noch echte Platten aufgelegt werden. Alles in allem ist es ziemlich düster, aber sehr gemütlich. Ich fühle mich irgendwie in ein anderes Zeitalter versetzt und erwarte eigentlich langhaarige Rocker mit Schlaghosen. Es kommen aber überwiegend ganz normale Studenten. Davon allerdings ziemlich viele. Sie trinken Bier und Cocktails und unterhalten sich laut, um die Musik zu übertönen. Alle Sitzgelegenheiten sind besetzt und einige müssen stehen.

Die Musik geht aus, sehr langsam wird es stiller im Raum. Es ist 21:33 Uhr, Tube betritt die Bühne, wartet einen Moment und sagt dann „wir fangen an- wie immer pünktlich um neun.“ Haha, denke ich schon das erste mal. Er stellt den DJ vor, der lt. Tube Musik aus der Rubrik spielt, die keiner hören will und verspricht demjenigen, der den Interpreten des zuletzt gespielten Titels kennt erst mal ein Bier. Den kennt natürlich keiner und später reicht ihm dann sogar die grob geschätzte Musikrichtung, um ein Bier zu verschenken.

Dann die Frage: „Hat in diesem Raum schon mal jemand gearbeitet?“
Betretenes Schweigen.
Einer der Poeten ruft: „Wir haben nicht dafür studiert, um arbeiten zu gehen!“
Tube findet arbeiten gehen auch nicht gut und fordert anstelle von „Arbeit für alle“ lieber „Arbeit für keinen“. Sei ja eh sinnlos, denn so viel Arbeit gäbe es sowieso nicht. Zu diesem Thema sagt er dann noch schnell ein Gebet auf, wobei jede Zeile vom Publikum nachgesprochen wird. Das erinnert mich irgendwie an einen schlechten Horrorfilm, wo alle in Trance versetzt worden sind. Das “Gebet gegen die Arbeit” wurde, wie ich später erfahre, schon in mehrere Sprachen übersetzt.

Dann sagt Tube den ersten Leser an. Konrad Endler beginnt mit einem Nachrichtenrückblick auf die letzten Jahre und berichtet mit einer hohen, krächzenden Stimme von Hunden, die tatsächlich mit vier Beinen geboren wurden und darüber, dass es gelungen sei, einem Jungen einen entzündeten Blinddarm zu entfernen.

In einer Ecke sitzt eine Gruppe junger Männer, die nicht aufhören will zu reden. Konrad ermahnt sie 2x zur Ruhe, um dann beim 3. Mal einfach mit dem Mikrophon zu ihnen rüberzugehen. Er fragt ins Mikro, was denn so wichtig sei, dass sie ihn beim Lesen stören und er erinnert mich irgendwie an meinen Lehrer aus der 7. Klasse. Alle lachen- bis auf die 3 Jungs, die sind eher betreten und ein bisschen später sind sie verschwunden. Er geht zurück zum Mikro und will unbedingt noch kurz erklären, warum Männer mit eckigen Brillen auf Frauen erotischer wirken, als Männer mit runden Brillen. Dann guckt er durch seine eckige Brille, lächelt verschmitzt ins Publikum und sagt den nächsten Leser an.
Nach einer kurzen Musikpause betritt Felix Jentsch die Bühne (oder den Bereich am Mikro). Er liest ein kurzes Gedicht und dann eine Geschichte. Es geht um interkulturelle Differenzen, aber wer jetzt an Neukölln oder Kreuzberg denkt ist schief gewickelt. Die Differenzen haben viel mehr Fernando, der jetzt in der Zivilisation lebt und sein indianischer Großvater, der immer noch in einem Erdloch haust. Der will zum Beispiel einfach nicht verstehen was an Tee so toll sein soll, man verbrenne sich ja die Lippen. Man müsse ihn halt abkühlen lassen, erwidert Fernando. Das versteht der Großvater noch immer nicht. Die Zivilisation kann wirklich nicht ganz gescheit sein, wenn sie Getränke heiß machen, nur um sie dann wieder abkühlen zu lassen.
Wieder Musik aus der Rubrik die keiner hören will, dann kommt Clint.
Clint liest einen typischen Slam Text in der typischen Slam Tonart. Erst will ich mich nicht eingliedern, in die Reihe der „typische-Slam-Text-Gutfinder“, aber das halte ich nicht lange durch, denn erstens spricht er mir aus der Seele und zweitens ist der Text echt witzig und vor allem sehr gut geschrieben und gelesen. Er liest sehr schnell, hat dabei aber eine sehr klare Aussprache, sodass es kein Problem ist ihm zu folgen. Der Text ist dank eines gewissen Herren, der kürzlich ein sehr umstrittenes Buch zu ähnlichen Themen herausgebracht hat, ziemlich aktuell und heißt: „Warum nur Untermenschen bei Aldi einkaufen.“ Lässig steht er vorm Mikro, in der einen Hand die Zettel, die Andere locker in der Hosentasche. Es geht ums saufen, bzw. den Kater danach und er enthält die für einen typischen Slam Text angemessene Menge an Kraftausdrücken. Clint beschreibt, wie er von düsteren Katergedanken geplagt, gezwungen ist bei Aldi einzukaufen und dort „die gesamte Unterschicht Deutschlands“ vertreten findet und bei solchen Themen sind Kraftausdrücke nun mal tatsächlich unumgänglich. Die „Armee der Schnäppchenjäger“ ist bei Aldi versammelt (Hartz IV Empfänger, alleinerziehende Mütter u.s.w.), denn „nur Untermenschen sparen“. Ca. zehn Minuten plagen ihn diese Gedanken und er findet eine Menge Gründe, warum, trotzdem er aussieht wie ein verkaterter Penner und bei Aldi vor die Tür kotzt, besser ist, als alle die da einkaufen.
Nach einem weiteren Musikstück kommt Tube ans Mikro. Er hat Zahnpasta dabei und erzählt, dass er die von einem Freund hat. Der fand es witzig, dass drauf steht: „Tube auf den Kopf stellen.“
Sein folgender Text handelt von „Westpaketen“, die anders riechen als früher und endet mit dem Statement: „so leicht kriegt man den Gestank des neuen Westens nicht mehr los.“
Die Luft wird auch im KdR langsam schlechter, dafür die Stimmung ausgelassener. Es folgen noch eine Menge Texte und ich könnte hier ewig weiterschreiben. Die anderen Texte handeln von in Stacheldraht gefangenen Fußballfans, jugendlichen Bands, die aus zwei Bassisten und einer Keyborderin bestehen, von zerdrückten Knetfiguren und von versehentlich fast bis zur Ohnmacht gehetzten Nachbarn.
Lea Streisand gesteht die Muttergefühle, die in ihr aufkeimen, wenn sie Jungs mit Röhrenjeans, oder Mädchen mit zu kurzen T-Shirts sieht und spricht, an Applaus und am allgemeinen Publikumsreaktionen gemessen, einigen aus der Seele.

Das faszinierende an dieser Lesebühne ist, dass sie jeden Mittwoch stattfindet. Die Poeten haben nur eine Woche Zeit, neue Texte zu produzieren- und scheinbar keine größeren Probleme damit, denn die hohe Besucherzahl an jedem Mittwoch zeigt, dass sich das Konzept nicht abnutzt. Die Texte sind abwechslungsreich, sehr gut vorgetragen, offensichtlich mit Sinn und Verstand entstanden und die Surfpoeten sind auch dann noch unterhaltsam, auch wenn sie gerade nicht lesen.

Als gelungenes Ende eines gelungenen Abends singt Konrad Endler noch ein Lied. Er kündigt es kurz mit seiner Gitarre an, legt diese dann aber weg und sagt, er singt es lieber ohne Gitarre, dann kann er auch die Zettel besser halten, und das Lied ist auch ohne Melodie. Also ein Text, denke ich. Das Lied hat dann aber doch eine Melodie, auch wenn mir dazu spontan das Zitat meiner Oma für so was einfällt: „Von C-Dur zu Schiss-mol.“

Es ist ca. 23:30 und obwohl noch zum Tanzen aufgerufen wird, machen sich die meisten auf den Heimweg. Das beweist vielleicht, dass es doch Arbeitende im Publikum gab und sich vorher einfach keiner getraut hat, das zuzugeben.

Von Jennifer Bühsing

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