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Verlagskulturen: KookBooks & Urs Engeler Editor

Warum Lyrik es schwer hat

Die großen Verlage haben ihre Lyrikeditionen stark eingeschränkt oder gar ganz eingestellt. Gedichte verkaufen sich eben nicht. Zwischen den Zeilen lesen und selbst denken ist in einer bequemen Gesellschaft, in der selbst das Essen in Form gepresst und mundgerecht zwischen ein zahnschonend weiches Brötchen geklemmt wird, den meisten zu anstrengend.

Und da erdreisten sich zwei Verlage – KOOKbooks und Urs Engeler Editor – ihr Verlagsprogramm nur mit lyrischen/ poetischen Themen und Texten zu bestreiten. Ist das nun idiotisch oder utopisch? Unter Anderem um diese Frage zu klären wurden die KOOKbooks Verlegerin Daniela Seel und Urs Engler zur Gesprächsrunde in die Literaturwerkstatt Berlin auf dem Gelände der Kulturbrauerei geladen, zu der leider letzten Veranstaltung in der Reihe „Verlagskulturen“.

Der Kontrast hätte schärfer nicht sein können: draußen die Freiluft-Großleinwand für die Fußballfans und drinnen regierte der Schöngeist. Draußen Jubelschreie und Gegröl, drinnen Augen schließen und Gedichten zuhören. Stellvertretend für die Verlagsprogramme lasen die Autoren Michael Donhauser und Hendrik Jackson aus ihren Werken. Auch Daniela Seel bewies durch ihre eigenen Texte, dass sie nicht nur nach fachlichen Kriterien etwas von dem versteht, was sie verlegt und ihre Stimme zum Instrument machen kann.

Draußen 1000, drinnen 50. Prozentual betrachtet ist das allerdings eine Quote, die im täglichen Leben nie erreicht wird. Bei der Frage nach den Verkaufszahlen, packte Urs Engeler eine Zahl auf den Tisch, die das idealistische Engagement mehr als deutlich machten. An anderer Stelle hielt er es auch augenzwinkernd für möglich, dass er seine Titel immer an den selben kleinen Kreis lyrisch Interessierter verkaufe.
Das hört sich nach einem ökonomischen Desaster an, jedoch meinte der sympathische Schweizer Verleger, Lyrik sei nicht dafür da, um Geld zu machen – Geld sei dafür da, Lyrik zu machen. Damit war klar, dass er in der gesegneten Position steht, ohne wirtschaftlichen Erfolgsdruck, buntbedruckte Papiere in dezent schwarz weiß bedruckte Buchseiten zu verwandeln – das graphische und typographische Konzept ist wirklich bestechend puristisch.

Daniela Seel muss sich ihre Auflagen hingegen im wahrsten Sinne des Wortes erarbeiten. Ohne dem Prinzip der Selbstausbeutung wäre eine Liste von 32 Titeln in fünf Jahren da wohl nicht möglich gewesen. Ihre Querfinanzierung ist die Lohnarbeit und die Verlagsarbeit meistert sie weitestgehend allein. Die grafische Gestaltung liegt allerdings bei Andreas Töpfer, der es versteht, die Texte in Form und Farben zu übersetzen. Damit wird gestalterisch eine ganz andere Strategie verfolgt als bei Urs Engeler Editor.

In der Diskussion, geleitet von Matthias Sträßner, ging es aber nicht nur um die optische Erscheinungsform der Werke sondern auch um die Umsetzung von geschriebener Poesie – zum einen in das gesprochene Wort zum anderen auch in eine andere Sprache. Beides sei Übersetzung und Interpretation, auf der Suche nach einer neuen Art der Vermittlung.

Ein Bedarf an Lyrik ist unbestritten vorhanden, andernfalls hätten sich beide Verlage im hart umkämpften Markt keine derart respektierte Position erkämpfen können. So war nach der Gesprächsrunde klar, dass die beiden Verleger sehr genau wissen was sie tun und warum. Ihr Verlagsprogramm hat also wirklich nichts mit Idiotie zu tun. Idealisten sind sie unbestritten.

Die letzte Veranstaltung der Reihe Verlagskulturen bot einen hervorragenden Übergang zu dem weiteren Programm der Literaturwerkstatt Berlin. Denn vom 05. bis 13. Juli 2008 findet das Poesiefestival statt, bei dem unter anderem auch Autoren der beiden vorgestellten Verlage anzutreffen sein werden. Hier wird sich auch zeigen, wie weit es möglich ist, „Lyrik als Lebensform“ auch einem größeren Publikum zu vermitteln. Die Diskussion über den Stand der Lyrik konnte die Schwere des Selben eigentlich nur bestätigen.

Allerdings gestattete das Auftreten beider Autoren einen Lichtblick, da sie sich offensichtlich beide einer kompletten Hinterfragung ihrer Arbeit entziehen. Hendrik Jackson weigerte sich, über biografische Dinge zu reden und Michael Donhauser ließ den Moderator mehr als einmal wissen, dass er in seinen Interpretationen vollkommen falsch lag. In diesen Momenten macht Lyrik wieder Spaß, denn man kann beim Schön-Geistigen eben nur die eine Hälfte definieren. Wer das Schöne kategorisiert, macht es kaputt.

„Lyrik ist
bemitleidenswerte Phrasendrescherei, schwülstiger Lärm um Nichts, eine realistische Möglichkeit, jemanden zu beeindrucken, indem man sich lächerlich macht, ein Jugendleiden, die billigste Methode, um die Wahrheit herumzukommen, ohne zu lügen, eine großartige Möglichkeit, alles klein zu schreiben, die Kunst, Kommaschwächen zu überspielen, indem man einfach eine neue Zeile anfängt, der verlorene Kampf um den Reim, Bütt, Schlager, Glück auf zurück und Brot auf tot.

Lyrik ist
kryptische Bildsprache, chronische Bulimia virtuosa, schizoider Exhibitionismus, Autismus, Borderlinesyndrom, Prinzipdeutung durch Aufblasen der Symptome, Analyse und Therapie im Dialog mit sich selbst, Intellektualisierung des Sinnfreien, die Verbalisierung der durch Substantivierung bedrohten Wortwelt, Immanenz durch Redundanz, Studienabbruch vor dem Hauptstudium.

Lyrik ist
Dichtung, Verdichtung, Komprimierung, Essenz, unbeschreiblich, unbeschreibbar, metamorph, heiligend, Wörter zu Worten,
spirituell
sein

Lyrik ist die einzige Möglichkeit, anzufangen, ohne sich vorher, nachher oder währenddessen erklären zu müssen.“ (Thomas Manegold in „Himmelsthor“)

Von Marion Alexa Müller

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