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Geistige Futterkrippe

Thomas Manegold im Gespräch mit NEGATIEF

Im Mai 2008 gab Thomas Manegold, im Zuge unserer szenerelevanten und -thematisierenden Veröffentlichungen, dem Musikmagazin NEGATIEF ein Interview, das in seiner Juniausgabe erschien:
Sollte man dem Internet glauben schenken, so ist der Buchmarkt auf dem absteigenden Ast und sein Medium ein schwer bedienbares Vehikel der letzten Jahrhunderte. Das mag fürr den Großteil der Analphabeten und SMS-Rhetoriker gelten, doch Papier ist nicht nur willig, sondern auch nach wie vor fürr so manche Revolution zu gebrauchen. Und so raschelt im Schatten der Hochgeschwindigkeitsgesellschaft eine Schabe im Blätterwald. Tom Manegold, seines Zeichens vielbeschäftigter DJ, Veranstalter und manischer Verleger stellt seine planetarische Gegenwelt vor, die den Gesetzen der kapitalen Schwerkraft zu trotzen wagt.

Negatief: Wie würdest du das Credo des Verlages umschreiben?
ToM: Wir wollen die Welt retten. Man kann das Glück auf Erden nur durch die innere Wandlung des einzelnen Menschen herbeiführen. Unser Beitrag sind Geschichten, welche die Menschen weiterbringen und nicht nur von ihrem Dasein ablenken. Mit periplaneta soll man Spaß an der Erweiterung des Horizontes haben, sich in Erzählungen wiederfinden oder einmal etwas ganz anderes lesen, hören oder sehen, als das immerzu
Gewohnte.

Negatief: Wie finanziert und realisiert man so kostspielige Buchprojekte?
ToM: Finanziert wurde periplaneta anfänglich aus den Privatbeständen unserer Chefin. Wir haben tatsächlich mit den Verkäufen unserer privaten Altlasten bei eBay unsere ersten Bücher gedruckt! Jetzt ist die Finanzierung etwas solider. Wir wachsen. Das zeigt auch, dass die Hirne der Menschen in Deutschland besser sind, als ihr Ruf, auch wenn ich das manchmal selbst nicht glauben mag.

Negatief: Ist es gar möglich, dass ein Paradigmenwechsel unmittelbar bevorsteht? Die Dummheit wird durch eine neue Intelligenzia besiegt und die Jugend kehrt geläutert in den Schoß der Aufklärung zurück?
ToM: Irgendwann sind alle mal satt, dann wird auch jene Mischung aus Selbstzufriedenheit und
Langeweile für eine Mehrheit ungenießbar. Das Buch wird genau deshalb nicht aussterben. Zudem ist periplaneta den digitalen Medien nicht abgeneigt. Wir veröffentlichen Hörbücher und Filme und verschließen uns dem medialen Wandel nicht. Das macht sexy. Dass diese Gesellschaft mit 200 Sachen an die Wand fährt, wissen wir alle. Ich beneide die Leute nicht, die da im Zug sitzen. Und ich stelle fest, dass immer mehr aussteigen. Menschen, die nicht fernsehen, nicht konsumieren, sich nicht ausbeuten lassen und selbst denken- Periplanetaner eben.

Negatief: Wer steckt hinter periplaneta?
ToM: Marion Müller ist Chefin und Gründerin des Verlags, Jasmin Bär ist für die PR und Öffentlichkeitsarbeit zuständig und ich kümmere mich um sämtliche Belange der Produktion. Das Lektorat und die Entscheidung, was wir machen und was nicht, erledigen wir im Kollektiv. Dem zur Seite stehen ein Tontechniker für die Hörbücher und viele weitere idealistische Helfer. Periplaneta umfasst neben dem Verlegen von Büchern auch Hörbuchproduktionen, redaktionelle Arbeit und Lesungen, ohne die ein kleiner Verlag nun mal nicht überlebensfähig ist.

Negatief: Die Schabe ist euer Maskottchen. Fühlt ihr euch als jene im wirtschaftlich straffen Literaturbetrieb Deutschlands?
ToM: Schaben sind besser als ihr Ruf. Sie sind eine der wenigen Spezies, die den globalen Showdown überleben werden. Die flugfähigen Großschaben haben sich zudem erfolgreich auf dem ganzen Planeten verbreitet. Unsere Chefin hat ein unglaubliches Faible für Insekten. Deshalb werden unsere Editionen mit weiteren Tierchen glänzen. Die Fantasy-Edition wird beispielsweise von einer Libelle begleitet werden.

Negatief: „Morbus Dei“ ist mittlerweile dein viertes Buch nach “Sonnentod“, „Ich war ein Grufti“ und „Himmelsthor“. Wie würdest du deine schriftstellerische Reise bisher beschreiben?
ToM: Auch ich habe als narzistischer, größenwahnsinniger Selbstverleger angefangen und danach alle Fehler gemacht, die ich heute unseren Autoren ersparen kann. Den Grundstein meiner Arbeit bildeten Gedichte. Ich liebe Deutsch und ich habe einige Weltuntergänge geträumt und erlebt. Das schlägt sich in großen Teilen meines lyrischen Schaffens nieder. “Ich war ein Grufti” ist dagegen sehr journalistisch geprägt und eher kolumnenhaft geschrieben.

Negatief: Was kann man von der Neuauflage des “Grufties” erwarten? Eine Szenekritik?
ToM: Nein! Auch wenn da einiges kritisierbar ist, werden in dem Buch gesellschaftliche Probleme aus der Sicht eines Gruftis angeprangert. Die zweite Auflage wurde überarbeitet und durch zwei Kapitel ergänzt. Sie ist aber kein neues Buch.
Ich beobachte durchaus auch dieses “Verflachen“, aber das ist eher ein gesellschaftliches Phänomen. Dass die Gruftis von allen Seiten mit Klamotten und schlechter Musik zugeschissen werden, kann man ihnen nun wirklich nicht zum Vorwurf machen. Da ist es schwer, den Überblick zu bewahren.

Negatief: Siehst du dich selbst als Szeneschriftsteller? Du bist selbst der Tausendsassa und als DJ, Veranstalter, Musiker und Performer immerfort im Einsatz. Inwieweit beeinflusst das dein schriftstellerisches Schaffen?
ToM: Klar bin ich ein Szeneschriftsteller, allerdings durch jene, die meine Bücher kaufen. Ich spekuliere also nicht mit einer Nische und halte “Morbus Dei” für komplett schubladenresistent. Ein bisschen Splatter und ein bisschen Tod machen noch keinen Genreklassiker. Was mein Schaffen auch beeinflusst hat, war der journalistische Umgang mit Musik und das Aufkommen der der Blog- und Internetliteratur. Die technischen Neuerungen haben einmal mehr unseren Sprachumgang unglaublich revolutioniert.

Negatief: Andreas Keck ist ein weiterer Autor eurer Werkstätte. Wie würdest du sein Debütroman „Schneeblind“ umreißen?
ToM: Es ist ein Patientenroman. Ein Blick in den Alltag einer Psychiatrie durch die Augen eines depressiven jungen Mannes, der sich für gesund hält. Der Roman ist sehr einfühlsam, nicht reißerisch. Er hat eine ruhige, aber kraftvolle Stimmung und hat schon viele tolle Kritiken einheimsen können.

Negatief: Die Idee zu den „Weißen Geschichten“ der Letzten Instanz ist bahnbrechend und so noch nie erschienen. Erkläre doch kurz dieses Konzept. Wird es weitere Veröffentlichungen in dieser Art geben?
ToM: Die Entstehung der Fan Anthologie “Weiße Geschichten” ist einfach unglaublich. Ich rief Holly Loose an, weil mich sein Hörbuch beeindruckte. Und Holly hatte gerade die Idee am Start, aus den Geschichten, die ihm seine Fans geschickt hatten, irgendwie ein Buch zu machen. Das Wagnis war groß, denn eigentlich ist die Nische der Käufer solch eines Fan-Buches eher klein. Mich faszinierte die unerwartet hohe Qualität der Beiträge. So konnten wir einen Beweis liefern, dass durchaus noch über die Inhalte in der Musik nachgedacht wird. Da ist wirklich Licht am Ende des Tunnels! Dieses Beispiel soll andere Künstler ermutigen, durchaus über das Medium Buch nachzudenken. Wir sind nach dem großen Erfolg der “Weißen Geschichten” für weitere Projekte zu begeistern und möchten uns hier nochmal bei Holly und der Letzten Instanz für diese “Pionierleistung” bedanken.

Negatief: Was kann man von André Ziegenmeyers neuem Werk erwarten?
ToM: Wortwitz, skurrile Namen und jede Menge Spaß. André Ziegenmeyer gehört zu den talentiertesten Jungautoren Deutschlands. Er ist noch keine 30 und hat bereits einen ureigenen Stil. Sein “Schatten über Schinkelstedt” ist sehr treffend untertitelt mit “Fabelwesen reloaded” und eröffnet unsere Edition Drachenfliege. In Schinkelstedt startet die Kirche einen Feldversuch, die verbannten Fabelwesen erneut auf die Menschen loszulassen. Die Idee dahinter ist, ihnen wieder das Fürchten zu lehren und sie wieder in die Arme der Kirche zurückzutreiben. Wirklich sehr spaßig.

Das Interview führte Gert Drexl.

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