Interview mit Mauricio Borinski
Man kann schon sagen, dass Mauricio Borinskis Debüt ungewöhnliche hohe Wellen verursacht, denn es ist böse, kratzt und verdirbt einem den Appetit auf Tzaziki. Zudem kommt der Autor quasi aus dem Nichts, ist vorher faktisch nirgends in der Welt des geschriebenen Wortes in Erscheinung getreten. Doch kurz nach seiner Veröffentlichung war die Limited Edition bereits ausverkauft und Herr Borinski beglückt derzeit verschiedene kleine und große Radiostationen mit Episoden aus seinem Werk … Einen Roman „Arschloch!“ zu nennen ist sicherlich eine Entscheidung, die man sich gut überlegen sollte. Er polarisiert, schreckt viele vielleicht ab und wird mancherorts als vulgär und ordinär abgetan.
Mauricio Borinskis Debütroman darf man aber auf keinen Fall nur nach seinem Titel beurteilen, denn der ist, trotz vieler Inhaltsstoffe, die Befremdlichkeit und Empörung hervorrufen könnten, nur die berühmte Spitze des Eisbergs…
periplaneta: In deinem Autorenprofil bei Periplaneta hast du gesagt, dass es dich nicht wundert, dass in unserer Welt alles drunter und drüber läuft. Was läuft denn drunter und drüber?
Mauricio Borinski: Als Beispiel eine aktuelle Geschichte: In einem Dorf in Pakistan besteht die Möglichkeit der Wahl: Die herannahende Flut kann entweder auf die Viehweide oder auf den eher armen Teil des Dorfes umgelenkt werden. Die Großgrund- und Viehbesitzer fluten das Dorf. So etwas meine ich mit drunter und drüber. Aber natürlich! Das Vieh muss geschützt werden. Man kann da nur den Kopf schütteln, aber so etwas hat es mit Sicherheit auch schon vor 200 Jahren gegeben, deswegen kann es einen nicht wundern.
periplaneta: Gab es bestimmte Dinge, die dich zu dieser Auffassung gebracht haben?
Mauricio Borinski: Ja. Ich sehe mir die Nachrichten an. Ich informiere mich. Als denkender Mensch kann man dann zu dieser Auffassung gelangen. Meine Großmutter sagt immer: „Hauptsache sie schlagen sich die Köpfe ein!“
periplaneta: Was muss man ändern?
Mauricio Borinski: Ich weiß es nicht. Menschen, die genau wissen, was man ändern muss, machen mir Angst. Guido Westerwelle, zum Beispiel.
periplaneta: Wie würdest du das ändern?
Mauricio Borinski: Guido Westerwelle Gaffatape auf den Mund kleben.
periplaneta: Wie sollte unsere Gesellschaft aussehen?
Mauricio Borinski: Es wäre schon gut, wenn die Schere zwischen Arm und Reich so bliebe, wie sie ist. Den Status quo halten ist gut, jedenfalls besser, als ihn zu verlieren.
periplaneta: Du hast deine Kindheit zum Teil in Rio und zum Teil in Dortmund verbracht und du wohnst jetzt in Aachen. Wo würdest du in deiner Zukunft wohnen wollen wenn nicht nur Rio, Aachen oder Dortmund zur Wahl ständen?
Mauricio Borinski: Eigentlich ist es mir egal. Berlin wäre sicherlich nicht schlecht, aber ich muss da nicht unbedingt hin. Mal gucken, was so kommt. Manchmal kann man sich das nicht unbedingt aussuchen… Eine U-Bahn sollte die Stadt haben. Busfahren ist öde.
periplaneta: Magst du Tzatziki?
Mauricio Borinski: Ja. Klar. Am liebsten das mit richtig viel Liebe und nach meinem Rezept selbst zubereitete.
periplaneta: Wie lange und wie intensiv hast du an deinem Buch gearbeitet?
Mauricio Borinski: Ungefähr 5 Jahre. Neben Studium und Arbeit, immer dann, wenn es ging. Morgens, mittags, abends, nachts, egal wann. Das Buch ist ungefähr seit zwei Jahren fertig und es hat zu lange gedauert. Es wurde dann natürlich noch lektoriert und aktuelle Ereignisse wurden angepasst.
periplaneta: Wie sah die Recherche dazu aus?
Mauricio Borinski: Hauptsächlich durch Bücher, die ich mir zugelegt habe, weil sie mich interessierten, z.B. über Stalking und Mobbing oder, weil ich Lust hatte sie zu lesen; der Zufall spielte ebenfalls eine Rolle. Mein Stiefvater hat immer die besten Sachen auf dem Klo. Die habe ich ihm teilweise geklaut. Das Internet natürlich auch, wenn sich eine neue Fragestellung ergab. Zudem Nachrichten, etwas Fernsehen und die Gala, weil ich diesen ganzen Klatsch und Tratsch-Quatsch mit eingebaut habe und ein paar Promi-Namen brauchte.
periplaneta: Du hast selbst 1,5 Jahre im Call-Center gearbeitet. Welche eigenen Erfahrungen sind in den Roman eingeflossen?
Mauricio Borinski: „Arschloch!“ ist ein Konzeptroman und den Anforderungen des Konzepts waren meine persönlichen Erfahrungen, Vorstellungen und Ansprüche unterzuordnen. Ich habe versucht Distanz zu wahren, gerade bei autobiografischen Elementen. Sicherlich sind manch autobiografische Dinge in der Geschichte enthalten, ein paar auf der bösen und ein paar auf der guten Seite.
periplaneta: Warum nennst du Münster die „lebenswerteste Stadt der Welt“?
Mauricio Borinski: Münster war die lebenswerteste Stadt der Welt! Entweder war das 2004 oder 2005. Jedenfalls in der Stadtgröße bis 300.000 Einwohner.
periplaneta: Das klingt ziemlich ironisch, hat es dir nicht gefallen?
Mauricio Borinski: Im Buch ist das sicherlich ironisch, gerade in Verbindung mit der besten aller möglichen Welten von der Voltaire in seinem Buch „Candide“ spricht. Doch so schlecht war es in Münster nicht. Allerdings sind mir die Rheinländer sympathischer als die Westfalen.
periplaneta: Was war der Anreiz zu „Arschloch!“?
Mauricio Borinski: Die Grundidee war die Darstellung eines schlechten Charakters. Dieser benötigt schlechte, böse Eigenschaften oder eben das was in unserem Kulturkreis als schlecht aufgefasst wird. Übertrieben formuliert: die Todsünden. Schwarz. Sowie ein guter Charakter gute, edle Eigenschaften benötigt. Die Kardinaltugenden. Weiß. Der Böse hat merkwürdige Ziele und die Guten stehen ihm im Weg. Daraus hat sich die Geschichte entwickelt. Die Umkehrung der Werte (Schwarz wird weiß und Weiß wird schwarz) im Verlauf der Geschichte ist keine neue Idee, es macht aber enorm Spaß, sie umzusetzen.
periplaneta: Was willst du mit dem Buch erreichen?
Mauricio Borinski: Mit einem Buch kann man die Welt nicht verändern. Ich wollte dieses Buch schreiben. Das habe ich erreicht. Ich hoffe, es unterhält den Leser und man diskutiert darüber. Vielleicht schreibt ja irgendwer mal: „Aus M. Borinskis ARSCHLOCH! weht bloß ein leiser Furz!“ Kann ja durchaus passieren. Mit einem solchen Menschen würde ich mich gerne unterhalten.
periplaneta: Was glaubst du, sind Moritz’ sympathische Seiten?
Mauricio Borinski: Steve Jobs mag ihn bestimmt, weil er jedes neue Apple Produkt kauft, aber Moritz hat keine guten Seiten, außer vielleicht der, dass er kein Holocaust-Leugner ist. Er ist ein selbstgerechtes, ekelhaftes, dreistes, selbstherrliches und dadurch auch unglaublich lächerliches Arschloch. Es macht Spaß über eine solche Person zu schreiben.
periplaneta: Wie ernst ist „Arschloch!“?
Mauricio Borinski: Es ist ein ernstes Buch, aber da ich der Ansicht bin, dass sich nichts großartig verändert, sollte man dem Ganzen – wenn möglich – ein Lachen abgewinnen. Es nutzt nix, mit erhobenem Zeigefinger auf die Missstände in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen. Not und Elend und Langeweile und Gewalt und Sex gab es so gut wie immer. Und die satirischen Elemente in der Geschichte sind doch recht häufig.
periplaneta: Inwieweit kannst du dich dem Konsum entziehen?
Mauricio Borinski: Aufgrund von schlechter Bezahlung sehr gut. Ich bräuchte mal neue Schuhe. Natürlich konsumiere ich einige Dinge. Wenn ich einen Computer benötige, kaufe ich ihn. Klar, aber ich brauche nicht ständig das neueste Handy oder eines dieser Geräte, die gleich alles können. Wenn ich raus gehe, muss ich nicht im Internet surfen. Ich habe keine Digitalkamera, keine Videokamera; ich trage keine rosa Poloshirts und erst seitdem ich in Aachen wohne, habe ich einen Fernseher und freue mich, wenn ich Fußball gucken kann.
periplaneta: In deinem Buch setzt du dich sehr stark mit dem Thema Moral auseinander. Glaubst du, dass die Leser durch dein Buch „moralischer“ werden?
Mauricio Borinski: Nein. „Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort.“ Georg Büchner in Woyzeck.
periplaneta: Hat Arschloch ein Happy-End?
Mauricio Borinski: Ja.
periplaneta: Wie reagiert dein Umfeld auf das Buch?
Mauricio Borinski: Bisher durchweg positiv. Aber die jüngeren Leute sehen das mit dem Titel vielleicht auch etwas anders. Das ist diese Youporn Generation. Unter der Gürtellinie ist immer gut.
periplaneta: Manche Redaktionen finden den Titel eher witzig und manche möchten sich das Buch gerade deshalb erst gar nicht ansehen.
Mauricio Borinski: Es gibt ein Buch, das „Drecksau“ heißt (Irvine Welsh) und eins, das „Vollidiot“ heißt (T. Jaud). Drecksau, Vollidiot, Arschloch, wo ist da der Unterschied? Klar, ein Arschloch ist eine Körperöffnung, aber es ist ebenso ein Wort, das ziemlich häufig benutzt wird, wenn man sich über jemanden aufregt. Deswegen ja das Ausrufezeichen hinter dem Wort. Es handelt sich also bei dem Titel nicht um eine anatomische Bezeichnung, sondern um einen Ausdruck von Wut. Des weiteren ist es ein Problem der deutschen Sprache. Wir schimpfen häufig unter der Gürtellinie. Im Französischen würde es „Putain!“, im Portugiesischen „Filho da puta!“ heißen. Das hat nix mit einer Körperöffnung zu tun. Vielleicht ist Arschloch sogar das am häufigsten benutzte deutsche Schimpfwort. Da muss man mal Aiman Ablablabla fragen. Zudem gibt es erstaunlich viele Bücher in denen das Wort „Arschloch“ vorkommt. Das ist eher ein Nachteil. Aber Fakt ist: Die wahren Arschlöcher sind die Gebildeten.
periplaneta: Gesetzt den Fall, du hättest „Arschloch!“ nicht geschrieben. Was würdest du über ein Buch denken, das „Arschloch!“ heißt?
Mauricio Borinski: Ich würde vielleicht auch erst einmal denken, was ist das denn für ein Quatsch, aber wenn ich es lesen würde, würde ich mich freuen. Chuck Palahniuk sagte mal, dass man das Buch schreiben soll, das man gerne lesen möchte. Ich hatte Lust auf einen schlechten Charakter, einen, der böses tut, und einen, der vieles durch den Kakao zieht. Ich hatte einfach Lust einen durch und durch lächerlichen und armseligen Charakter zu beschreiben.
periplaneta: Wie gehst du mit Unverständnis um?
Mauricio Borinski: Ich kann es nachvollziehen. Der Titel ist nicht gerade einladend und es ist keine schöne Geschichte. Franz Kafka schrieb: „Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?“ Ich teile diese Ansicht, aber Ansichten sind nun mal verschieden. Man kann nicht alle Leser und Menschen zufrieden stellen. Das kann niemand. Außer Mark Zuckerberg, Steve Jobs und die Leute von Google. Ich denke, nach der anfänglichen Hürde – bedingt durch den Titel – lässt sich über das Buch reden.
periplaneta: Vielen Dank für das Gespräch. Noch eine letzte Frage: Was kommt nach Arschloch?
Mauricio Borinski: Das Fertigstellen meiner Promotion. Sonst ist mein Chef sauer und die bereits investierte Zeit verschenkt. Was dann kommt, weiß ich nicht. Vielleicht habe ich ja irgendwann mal Zeit, ein gutes Buch zu schreiben.
periplaneta: Ist denn „Arschloch!“ ein schlechtes Buch?
Mauricio Borinski: Nein, aber ein böses…
Das Interview führte Jennifer Bühsing.