Interview mit Ralph Mönius.
„Grimmatorium“, das Debüt von Ralph Mönius, ist über vierhundert Seiten dick geworden und nicht nur umfänglich beachtlich. Der jüngste Neuzugang unter den Periplanetanern hat sich ein Paralleluniversum geschaffen. Und die bunteste WG ever.
Seit 2012 hat Ralph nun schon diese „Stimmen“ im Kopf, die an die Grimmschen Märchenfiguren erinnern. Doch statt sich behandeln zu lassen, fing er an, ihre Geschichten aufzuschreiben. Doch auch damit gaben sich die Stimmen nicht zufrieden und so spinnt der Regensburger Autor die Geschichten immer weiter und vertont sie sogar auf dem eigenen YouTube-Channel. Sarah Strehle sprach mit ihm über brutale Märchen, Stimmen im Kopf und über das, wovor immer alle Angst haben: die Zukunft.
Wann hast du zum ersten Mal die Stimmen gehört?
Ralph Mönius: Das war 2012. Damals hat der Leiter meiner Schultheatergruppe mir eine Grimm-Biografie in die Hand gedrückt, da in diesem Jahr das 100. Grimm-Jubiläum war. Weil wir aber nicht einfach trocken deren Leben nachstellen wollten, entwickelten wir die Idee mit einem Haushalt, in dem die Gebrüder Grimm mit ihren Märchenfiguren und Wörtern zusammenwohnen. Das hat ein verrücktes Stück ergeben. Danach haben mich die Charaktere einfach nicht mehr losgelassen.
Was hältst du von den Grimmschen Märchen?
Ralph Mönius: Ich finde sie sehr fantasievoll, obwohl sie teilweise ganz schön brutal sind. Wenn man die Originalversionen der Grimms liest, merkt man, dass die Märchen eigentlich gar keine Kindergeschichten werden sollten. Dabei hielt Jacob Grimm die Ursprungsversionen schon für viel zu blumig, wie ich in Briefen zwischen ihm und Wilhelm las. Wilhelm hat die Geschichten nicht nur gesammelt und aufgeschrieben, sondern in seiner Stimme nacherzählt. Das fand Jacob zwar unwissenschaftlich, ist aber wohl der Grund, warum sie bis heute so erfolgreich sind.
Hast du ein brutales Beispiel für uns?
Ralph Mönius: Wenn man sich etwa die Originalfassung vom “Froschkönig” anschaut, wirft die Prinzessin den Frosch nicht an die Wand, sondern von ihrem Bett aus nach oben an die Decke, wo er sich in einen Prinzen verwandelt, und nach unten „auf die Prinzessin“ fällt, wo er dann bleibt. Auch was Gewalt und die Art der Charaktere angeht, sind die ursprünglichen Fassungen der Märchen deutlich weniger verklärt als die heutigen Fassungen. Für Wilhelm Grimm waren es wohl eher Moralgeschichten für Erwachsene als Kindermärchen.
So wie dein „Grimmatorium“, dass ja im Heute spielt und aktuelle Themen aufgreift, so wie beispielsweise den Populismus und die Flüchtlingsdebatte. Du hast selbst in Flüchtlingsheimen geholfen. Wie waren deine Erfahrungen?
Ralph Mönius: Die Zeit war durchaus intensiv und hat meinen Blick auf die ganze Thematik entscheidend beeinflusst. Man lernt die Leute eben nicht als „Flüchtlinge“, sondern als Menschen kennen. Im Positiven wie im Negativen. Hauptsächlich habe ich mich um die Kinder gekümmert. Dabei sind ein paar Eindrücke besonders hängengeblieben: Kinder, egal woher sie kommen, brauchen jemanden, der beim Puzzeln zusieht und ab und an mal hilft, Kinder sind beim Fußballspielen alle gleich, und wenn man die Beatles auflegt, können auch ohne Sprachkenntnisse alle sofort mitsingen.
Wie wichtig ist es heutzutage, auch als junger Mensch, im großen „Weltgeschehen“ mitzuwirken?
Ralph Mönius: Ich glaube nicht wichtiger oder unwichtiger als zu jeder anderen Zeit. Im Moment haben wir aber die Möglichkeit, etwas zu tun. Es geht nicht mehr nur darum, welche Musik man hört oder welche Klamotten man trägt oder welche Partei man wählt. Es geht darum, was man isst, wie umweltschonend man lebt, welche technischen Geräte man benutzt, auf welche man bewusst verzichtet und natürlich wie, wofür und in welchem Maße man das Internet und die sozialen Netzwerke nutzt. Da findet sehr viel statt, was in Zukunft noch spannende Auswirkungen auf unser politisches und soziales System haben dürfte.
Inwiefern?
Ralph Mönius: Vielleicht bleiben wir in unseren virtuellen Räumen sitzen und lassen andere die Zukunft gestalten. Vielleicht entwickeln wir die Demokratie weiter, machen sie flexibler, individueller, lösen Grenzen weiter auf. Die spannende Frage für meine Generation ist ja, wozu wir die unerschöpflichen Möglichkeiten zur Kommunikation nutzen werden. Verlieren wir uns in lustigen Videos und endloser Selbstdarstellung, oder lernen wir einander tatsächlich besser kennen?
Was wäre dahingehend deine ideale Vorstellung?
Ralph Mönius: Eine ideale Vorstellung habe ich nicht, da es einen „idealen“ Zustand unserer Welt gar nicht geben kann. Was ich okay finde. Die Menschheit braucht Aufgaben, an denen sie wachsen kann. Einen „vollkommenen idealen“ Zustand würden wir als solchen ja auch nicht wahrnehmen können, da wir dafür den Kontrast, also das „Unvollkommene“ brauchen.
Danke für diesen fast schon philosophischen Schlussgedanken. Ralph und sein Grimmatorium kann man auf Youtube verfolgen. Hier entlang.
Sarah Strehle
Brille und Smiley by Lisa Liepelt