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Gegen den Strich gebürstet

Richard Wiemers (Bild: Judith Wiemers) Edition Totengräber. Periplaneta Verlag Berlin

Ein Interview mit Krimi Autor und Bross-Erfinder Richard Wiemers.

Mit dem Slapstick-Krimi “Bross. Showdown im Schlippers” gibt es bei Periplaneta gleich zwei neue Gesichter: den Autor und Realschullehrer Richard Wiemers, und seine charismatische Hauptfigur Kommissar Bross. Letzterer ist, wie es sich für einen Mann seines Formates geziemt, auf der Jagd nach einem internationalen Top-Verbrecher. Unerschrocken stellt er sich dabei sturen Rentnern, streitenden Arabern und seiner strengen Concièrge entgegen und lässt sich nicht einmal durch das ewig lästige Wasser in seiner Hutkrempe aus der Ruhe bringen.
Wir waren neugierig auf den geistigen Kopf all dieser Verrücktheiten. Franziska Dreke sprach mit dem Autor über literarische Vorbilder, echte Superverbrecher, Lucky Luke und die Lust am überbordenden Blödsinn.

Bross ist dein Debütroman. Wie ist denn das passiert? Plötzlicher Musenkuss? Ein Kindheitstraum? Wie kamst du zum Schreiben, und was fasziniert dich daran?

RW: Eher eine Kindheitserfahrung, die sich zum stillen Faible auswuchs, ohne je wirklich geweckt zu werden. Damals habe ich mit meinen Brüdern gereimte Geschichten geschrieben und gezeichnet. Und dann vor etwa zwei Jahren: Der Musenkuss, jawohl! Und zwar in Form des Romans Dierk Gewesen und die glorreichen Sechs, den ich auf Verdacht kaufte, weil das Cover mir gefiel und der so knallhart abgedreht ist, ganz im Sinne und in der Fortsetzung von Douglas Adams, dass es mich packte, selbst einmal einen Krimihelden zu erfinden und ihn skurrile Abenteuer erleben zu lassen. Geschrieben hatte ich vorher schon hier und da, Kabaretttexte und anderes, verfügte also über eine gewisse Vorerfahrung. Das Schreiben selbst erlebe ich als ungemein lustvollen und bereichernden Prozess. Mit Sprache gespielt habe ich immer schon gern, und neu und beglückend war für mich die Erfahrung, diese Spielereien in eine literarische Form zu gießen und sie genau auszuarbeiten.

Bross Cover by Holger Much

Laut einer Statistik ist jedes vierte in Deutschland verkaufte Buch ein Krimi. Deutsche lieben dabei vor allem die kühlen, leicht schwermütigen skandinavischen. Bross fällt da als Krimi etwas aus dem Rahmen. Warum ist er dennoch überzeugend?

RW: Vielleicht, weil er mit der düsteren Stimmung der skandinavischen spielt – die Schwermut des Titelhelden ist ja der einer Figur aus der Feder von Mankell nicht unähnlich – und ihr gleichzeitig Komik und Skurrilität entgegensetzt. Aber das kann ein unvoreingenommener Leser sicher besser beurteilen.

Jener Leser wird schnell feststellen, dass Bross – wie man kann das sagen – etwas abseits vom Mainstream ermittelt. „Slapstick-Krimi“ … Wie kommt man bloß auf ein solches Genre? Bei der Gelegenheit muss ich einfach auch gleich noch nach den literarischen Vorbildern fragen …

RW: Dierk Gewesen hatte ich ja schon erwähnt. Und dann ist da die schon frühkindliche Sozialisierung mit Loriot, Ephraim Kishon, Werner Finck und anderen Humoristen, die bei meinen Eltern angesagt waren und denen wir Kinder uns nicht entziehen konnten. Lief Loriots Cartoon im Fernsehen, durften wir länger aufbleiben. Von Kishon gibt es eine Geschichte namens Chamsin und Silberrausch, die am Ende ins völlig Absurde ausufert und die meine Vorliebe für intelligenten Blödsinn begründete. Das war Slapstick pur. Ansonsten gibt es eher filmische Vorbilder, Groucho Marx zum Beispiel, dessen Genialität in seiner Ambivalenz zwischen Hochstaplerei und völliger Ahnungslosigkeit liegt. Oder Figuren, die sich selbst persiflieren, wie der großartige Herbert Knebel. Keiner der Genannten ist direkt in den Bross eingeflossen, aber sie stecken alle irgendwo in meinem Hinterkopf.

Richard WiemersEine sächselnde Masseurin mit einer Vorliebe für riesige Fischbrötchen, eine knusprige Brathähnchenverkäuferin, ein exhibitionistischer Ladeninhaber – in deinem Buch wimmelt es von durchgedrehten Nebenfiguren. Wie entwickelst du deine skurrilen Charaktere? Haben sie etwa reale Vorbilder in deinem Umkreis…?

RW: Beobachtet man Menschen und Ereignisse mit etwas Abstand, entdeckt man oft die unfreiwillige, folkloristische Komik in ihnen. Das ist ja, nebenbei erwähnt, das Muster, nach dem Lokalkrimis gestrickt sind. Es erfordert den leicht distanzierten, belustigten Betrachter, der eigentlich nichts anderes tut, als dem Leser – wie ein Kabarettist das auch tut – Dinge zu zeigen, Verhaltensweisen, die er schon kennt. Das Lachen ist quasi die Wiedersehensfreude. Und so laufen einem im wirklichen Leben permanent Figuren über den Weg, die einen Platz in einer lustigen Geschichte verdient hätten. Die im Buch auftauchenden gibt es so nicht, mit einer Ausnahme: Die des westfälisch dahinschwadronierenden Medienpsychologen brauchte ich nicht zu erfinden. Die habe ich eins zu eins so erlebt, wie ich sie schildere.

Dein Buch lebt außerdem von seinen trashigen Ideen, Persiflagen, Klamauk und dem Spiel mit Klischees. Ist es eher schwierig oder doch sehr einfach, diesen Stil in einem ganzen Buch konsequent beizubehalten und die Balance zwischen Witz und Blödsinn nicht zu verlieren?

RW: Ich muss ja zugeben, dass mich manches Mal die Lust am überbordenden Blödsinn geritten hat, und ich fand es jedes Mal schade, letztlich darauf verzichten zu müssen, weil es einfach too much war. So späht der Assistent des Kommissars, Keule genannt, in der Rohfassung der Geschichte nicht durch zwei tennisballgroße Löcher seiner vor das Gesicht gehaltenen Zeitung, sondern fußballgroße. Man muss schon auf der Hut sein. Da bin ich meiner Lektorin sehr dankbar, mich an den richtigen Stellen auf den Boden zurückgeholt zu haben. Das war nötig.

“Bross” sieht von außen aus wie ein nostalgisches Comicheft und erinnert trotz seiner Romanform auch beim Lesen oft daran. Hast du ein Faible für Comicbücher, und wer sind deine Lieblings-Comic-Helden?

RW: Da gibt es einen klaren Favoriten, und das ist Lucky Luke, der Mann, der schneller zieht als sein Schatten. Ich liebe Superhelden, die physikalisch Unmögliches beherrschen. Ebenso habe ich eine Schwäche für Bösewichte, denen man ihre Missetaten im Grunde gar nicht übelnehmen kann, weil sie – die Wichte wie die Taten – so rührend sind. Die Panzerknacker gehören dazu, die Daltons auch. Was in Prosaliteratur normalerweise nicht geht, geht in Comics: Das Überzeichnete, das Plakative, das Schrille. Das habe ich mir im Bross zunutze gemacht. Gerade die Ermittler in Comics früherer Jahrzehnte, mit Hut, Trenchcoat, Gauloises auf der Lippe und ihrer omnipotenten Souveränität, lieferten mir reichlich Futter. Und ein Superverbrecher muss einfach aussehen wie Lee van Cleef.

Richard WiemersEs gibt Eremiten-Autoren, die sich über Wochen verbarrikadieren. Manche schreiben nur nachts oder ganz früh am Morgen, manche wochenlang gar nicht und dann gleich ganze Bücher auf einmal. Welche Schreibtaktik hat sich bei dir für die Arbeit am Bross bewährt?

RW: Eremitentum ist mir fremd. Bewährt hat sich zu Haus der Wohnzimmersessel, dazu ein Tee oder ein Wein. Besonders produktiv war eine Kur im letzten Frühjahr an der Ostsee, als ich jeden Tag nach Ende meines Klinikprogramms in den Hafen ging, um zu schreiben. Dort ist bestimmt die Hälfte der Geschichte entstanden. Oder Schreiben im Café. Das ist ein Quell der Inspiration. Man muss sich nur umsehen und entdeckt sie, die Typen und Geschichten, die sie mit sich herumtragen. Ich trage dafür ein kleines Notizbuch bei mir, in dem ich amüsante Kleinigkeiten notiere, die ich beobachte.

Du bist also in deiner Freizeit offenbar nicht so der Sofa-Typ. Was machst du denn, wenn du nicht gerade vorn an der Tafel stehst oder an einem neuen literarischen Projekt arbeitest?

RW: Meine derzeitige Liebe gilt ganz eindeutig dem Schreiben, das ich als das genaue Gegenteil von Arbeit und Stress empfinde. Dadurch beschäftige ich mich mit etwas, das mir Spaß macht, fahre gleichsam herunter und lade Akkus wieder auf. Aber es gibt noch mehr: Als jemand, der Musik studiert hat, kommt man vom Musikmachen nicht los. So habe ich mit 39 noch mit dem Kontrabassspielen begonnen und Unterricht genommen. Seitdem spiele ich in einem Jazztrio, und ich leite eine Projektbigband. Lange Jahre galt mein Interesse auch anderen Dingen: Klavierbegleitung, Arrangieren, Chorleitung, Bass im Sinfonieorchester und mehr, nie gleichzeitig natürlich, das ginge ja gar nicht, sondern immer punktuell. Das meiste habe ich aber in der letzten Zeit zu Gunsten des Schreibens aufgegeben.

Diese vielseitige künstlerische Begabung hat sich offensichtlich etwas auf deine Hauptfigur abgefärbt. Findest du es nicht auch überraschend, dass ein so lakonischer Typ wie Bross so eine versteckte musische Seite hat?

RW: Einige der faszinierendsten Romanfiguren der Weltliteratur haben eine ungeahnte künstlerische Seite. Man denke an Wolf Larsen, Jack Londons Seewolf, oder an den unglaublichen Long John Silver aus Stevensons Schatzinsel. Beide sind sehr belesen, was in krassem Gegensatz steht zu ihrer Karriere als Seemänner und Piraten und scheinbar auch zu ihrem Verständnis von Moral. Dieser Umstand lässt Larsen zum Zyniker werden und Silver zum Phrasendrescher, der sich genau die Zitate und Gedanken der Literaten aussucht, die ihm gerade in den Kram passen. Bross verdreht diese Seite ins Komische. Er bringt Verbrecher zur Strecke, indem er Peter Hille rezitiert, und dreht bei der Verfolgungsjagd den CD-Player im Auto auf, um mitzusingen und „Yee Haw“ aus dem Fenster zu brüllen. Mit Keule singt und spielt er wie Stoever und Brockmöller im Tatort. Das verschafft ihm nebenbei eine zusätzliche Fallhöhe. Also, vielleicht waren es eher solche Dinge, von denen die Figur beeinflusst wurde. Aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, ob nicht auch Facetten meiner Persönlichkeit eine Rolle gespielt haben :-).

Wenn du Buchhändler wärst und solltest das Buch verkaufen, welcher Art von Lesern würdest du dein Buch empfehlen?

RW: Vielen natürlich! Comic- und Slapstick-Fans mögen Spaß haben an den hanebüchenen Wendungen der Handlung, andere werden die geschilderte Alltagskomik in ihrem eigenen Leben entdecken, die Stereotypen, dann die vielen Anspielungen auf Ereignisse, Szenen und Figuren aus Literatur, Fernsehen und , und sie werden hoffentlich Bross lieben, den Ritter von der traurigen Gestalt, der es nie schafft, seine Zigarette anzuzünden. Es ist kein Buch für jedermann, ganz klar. Aber Leser von Krimis oder Tatort-Junkies, die ihr Lieblingsgenre einmal gegen den Strich gebürstet haben möchten, sowie solche mit einer wie auch immer ausfallenden Ader für Komik können ihr Vergnügen an ihm haben.

Werden die Bross-Fans zukünftig denn noch mehr vom charismatischsten nassen Ermittler aller Zeiten erwarten oder gibt es andere Projekte?

RW: Einen Ansatz gibt es schon für einen zweiten Bross, und ich bin dabei, Ideen zu sammeln. Aber das Material ist noch ungeordnet. Zunächst einmal wünsche ich mir, dass dieser Bross zahlreiche Fans finden wird. Mein absolutes Lieblingsgenre ist ja das Roadmovie. Der Hundertjährige oder Theo gegen den Rest der Welt – wunderbar! Ursprünglich sollte Bross eines werden, wollte sich dann aber doch anders entwickeln, und nur ein paar Reste davon finden sich noch in der Handlung. Dafür habe ich inzwischen ein waschechtes begonnen und finde es selbst total spannend, was daraus im Endeffekt werden wird.

Vielen Dank für das Interview.

Franziska Dreke

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