Ein Interview mit David Wonschewski
Anfang März erscheint mit „Geliebter Schmerz“ das zweite Buch von David Wonschewski bei Periplaneta. Der Kurzgeschichtenband erzählt von Charakteren, die vom Leben und Schicksal gebeutelt durch den Alltag straucheln; die trauern, hassen, lieben und erst im eigenen Schmerz den Schlüssel zum Leben finden. Franziska Dreke sprach mit dem Berliner Autor und Musikjournalisten über die Bedeutung des Leidens, die unendliche Geschichte und über Witze, die nicht lustig sind.
Lass uns zunächst einmal zurückblicken. Vor anderthalb Jahren ist dein Roman „Schwarzer Frost“ erschienen. Welche Reaktionen von Lesern und Zuhörern sind dir danach besonders in Erinnerung geblieben und haben dich beeindruckt oder glücklich gemacht?
D.W. Das mag nun seltsam klingen – aber mich beglückt, dass das Buch so unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Manche Leute haben sich beim Lesen schlappgelacht und waren in drei Tagen durch. Andere haben immer nur einige Seiten geschafft und mussten es dann für Tage weglegen – und hatten dennoch den Drang, sich durch den Stoff zu wuchten. Beides ist ein tolles Kompliment. Das größte Kompliment war jedoch, dass manchen Menschen das Gerede über Selbstmord und Depressionen so nah ging, dass sie das Buch einfach nicht ertragen und nach einigen Seiten komplett weggelegt haben. Natürlich sollte die Zahl derer, die so ein Buch von mir nicht zu Ende lesen, besser überschaubar bleiben, klar, aber hätten alle meine Leser mir gratuliert und mich gelobt, wäre das für mich der Beweis gewesen, dass mein Stil nicht intensiv genug ist. Man schreibt ja nicht über Suizid und Depressionen, damit einem hinterher alle über den Kopf streicheln und in die Wange kneifen.
Anfang März erscheint mit Geliebter Schmerz nun dein zweites Buch – ein Kurzgeschichtenband. Was hat dich nach deinem Roman zum Genrewechsel bewogen?
D.W. Ich sehe das nicht als Genrewechsel. Das liegt an meiner Arbeitsweise: Ich verarbeite permanent Gedankengänge zu Erzählskizzen. Die meisten kommen über das Versuchsstadium nicht hinaus und landen umgehend im Papierkorb. Einige wenige jedoch wachsen und gedeihen, weigern sich einfach, mir zu missfallen. Also beschäftige ich mich weiter mit ihnen, drehe und wende sie, werfe sie hoch in die Luft und fange sie wieder auf – und schaue, was passiert. Einige Geschichten tragen mich dann drei Seiten weit, andere 30. So gesehen ist auch der „Schwarze Frost“ eine solche Melancholie. Entstanden aus einem einzigen Gedanken, einer fixen Erzählidee. Mit dem Unterschied, dass er sich einfach nicht hat erschöpfen wollen, mich mit jedem einzelnen Wenden und Werfen mit neuen Bildern und Sätzen versorgte. Bis heute, im Übrigen. In meinem Kopf ereifere ich mich noch immer, schreibe dieses Buch inbrünstig weiter. Schon seltsam, oder? Nennt sich „Schwarzer Frost“ und macht mich quicklebendig.
Inwiefern unterscheidet sich für dich die Arbeit an einem Roman von der an einem Band mit Erzählungen?
D.W. Die Arbeit an einem solchen Erzählband erfordert eine größere Flexibilität. Bei einem Roman hast du in der Regel eine Grundkonstellation, die du dann durchziehst. Und in den medienerfahrenen Mitdreißiger aus Berlin, der die Hauptrolle in „Schwarzer Frost“ spielt, konnte ich mich nun wirklich ohne viel Mühe einfühlen. Warum? Klar, weil ich selbst ein solcher medienerfahrener Mitdreißiger aus Berlin bin. In „Geliebter Schmerz“ hingegen gibt es nun sehr unterschiedliche Protagonisten. Menschen, deren Lebenswelten mir aufgrund ihrer Herkunft, ihres Alters oder ihres Geschlechts nicht sonderlich vertraut sind. Eine vergewaltigte 25-Jährige, ein 60-jähriger ehemaliger Stasi-Offizier – wie denken die? Was fühlen sie? Woran leiden und zerbrechen sie? Und vor allem: Wie meistern sie ihr Leben?
Und so wie „Schwarzer Frost“ im Grunde auch als Kurzgeschichte begriffen werden kann, ist es auch umgekehrt mit „Geliebter Schmerz“, das ein Buch voller kleiner Romane ist. Eine Geschichte mag vielleicht nur 10, 20 oder 30 Seiten lang sein, doch wie jedes Leid kennt sie eine schuldhafte Vergangenheit und eine verzweifelte Zukunft. Das alles „Kurzgeschichte“ zu nennen wäre ein Schlag ins Gesicht eines jeden emotional leidenden oder gar traumatisierten Menschen.
„Geliebter Schmerz“ – ein auf den ersten Blick ambivalenter Titel. Schließen sich die beiden Gefühle in deinen Augen nicht aus?
D.W. Nein. Im Gegenteil: Jeder sollte diese beiden Begriffe in einem Atemzug sprechen. Denn was wir Menschen dringend benötigen, ist doch ein Paradigmenwechsel, um endlich wieder zurück zu uns und damit auch zurück zur Natur zu finden. Gefühle wie Schmerz oder Angst haben einen sehr miesen Ruf. Dabei sind es die größten Schutzschilder, die wir Menschen haben. Hätten wir weder die Angst noch den Schmerz als Warnsystem und Orientierung, die Menschen wären seit über 100 000 Jahren ausgestorben. So gesehen ist Schmerz also die pure Lebensbejahung. Wir aber dämonisieren ihn, anstatt dankbar zu sein, dass wir dieses wundervolle Gefühl besitzen. Nehmen wir im Vergleich dazu dann die von uns so hingebungsvoll verehrte Liebe, dann kann man sich nur wundern. Denn die Liebe, so schön sie ist, ist immer nur eine Ahnung, eine Hoffnung, eine Sehnsucht. Sind wir nicht alle schon mehrfach enttäuscht worden von diesem Gefühl? Ja, in deiner Liebe kannst du dich täuschen. In deinem Schmerz nicht. Er ist immer ehrlich, hintergeht dich nie. Deswegen liebe ich meinen Schmerz und meine Ängste. Und widme mich ihnen so intensiv es mir möglich ist. Denn wer sich nur in Watte packt, der gleitet erst in die Dumpfheit und dann in die Entfremdung. Der Beginn einer zuckersüßen Plastikexistenz. Und im Übrigen auch der Beginn vom Ende der Menschheit. Falls das überhaupt noch wen interessiert.
Der Schmerz ist also der einzige Weg heraus aus der eigenen Gefühlsmisere? Oder doch eher eine Art Schleudersitz?
D.W. Beides! Momentan läuft in unserer Gesellschaft doch alles in Richtung Kommerzialisierung und Einheitsbrei. In allen Städten begegnen wir den gleichen 15 Geschäften, in allen Branchen kauft eine Handvoll Konzerne alles auf, die Medien sind längst zu Handlangern der Wirtschaft pervertiert, die nur noch darstellen, was bereits verkauft ist oder aber sich gut verkaufen lässt. Unter dem Deckmantel dieser widerwärtigen „political correctness“ wird jeder noch so kleine Stolperstein unseres Miteinanders entfernt, jeder potentielle Funkenflug bereits im Ansatz erstickt. Wir sind schon ziemlich nah dran an dem was H.G. Wells uns in seinem Science-Fiction-Roman „Die Zeitmaschine“ prophezeit hat: Sanfte, gutgelaunte Sonnenkinder, die lethargisch und dumpf in den eigenen Untergang latschen. Ein emotionaler Schleudersitz ist da keine schlechte Sache. Einfach mal dahin gehen, wo es weh tut – und dann mit Karacho zurück in die Umlaufbahn!
Deine Protagonisten sind alle nicht besonders glücklich und scheinen ständig mit Problemen, Trauer und Desillusionierung zu ringen. Wie viel realer Wonschewski steckt mit in deinem Buch?
D.W. Das ist bei einem Band mit Erzählungen natürlich schwierig zu beziffern. Dass mein Vater im vergangenen Jahr an Krebs verstarb, ist vermutlich die eindeutigste Schnittkoordinate. Ich bin wahrlich kein Trauerkloß, doch ich empfinde mein eigenes Leben durchaus als suchend, stolpernd und strampelnd. Eine Selbstwahrnehmung, die sich auch in vielen Protagonisten wiederfindet. Das hat jedoch keineswegs etwas mit einer negativen Lebenseinstellung zu tun, auch hier ist das genaue Gegenteil der Fall: Gerade das, was düster und vertrackt ist, lässt mich besonders frei atmen. Das ist so wie mit Songs von Joy Division oder Filmen von David Lynch. Die höre oder schaue ich mir ja nicht an, damit meine Laune danach im Eimer ist. Sondern damit es mir gut geht, ich mich frei und leicht fühle. Nichts ist so langweilig wie Menschen, die komplett mit sich im Reinen sind. Und ich bin nun überhaupt nicht mir im Reinen. Was für ein Glück!
Auch Einsamkeit, Angst und Verlust spielen in deinen Erzählungen eine große Rolle. Kann Wonschewski nicht unbeschwert lustig?
D.W. Ich habe viel zu viel Respekt vor dem komödiantischen Geschäft. Auch, weil ich die meisten der sogenannten „Comedians“, vor denen inzwischen so gar kein Entkommen mehr ist, vollkommen unwitzig finde. Ich würde mich nun wahrlich nicht als Vorbild für andere Künstler bezeichnen, aber ich wäre froh, wenn wenigstens ein paar dieser ach-so-lustigen Menschen wie ich anerkennen würden, dass „Humor“ schon immer die höchste aller Künste war und das Feld dann den Wenigen überlassen, die es beherrschen. Aber da sehen wir, auch „Humor“ ist ein von uns wahnsinnig überfrachteter Begriff geworden. Ich wünsche mir weniger davon, um schließlich wieder mehr davon zu haben. Natürlich bin ich lustig, zumindest wesentlich lustiger als meine Bücher erahnen lassen. Politische Kabarettisten wie Volker Pispers, pointierte Chansonniers wie Georg Kreisler oder Sebastian Krämer oder morbide Literaten wie Thomas Bernhard sind der Grund für laute Lachanfälle in meiner Wohnung. Aber wenn ich es mir recht überlege, sind die alle auch recht dunkelhumorig, zynisch und sarkastisch.
Welche Erzählung aus dem Buch liegt dir besonders am Herzen und warum?
D.W. Die für mich derzeit wichtigsten Geschichten sind „Sommerromanze“ und „Der Tag, an dem ich mir den Garaus machen wollte“. Wahrscheinlich weil Autor Wonschewski eine zunehmende Faszination für die Vielfältigkeit der weiblichen Psyche entwickelt hat. Nach 250 Seiten „Schwarzer Frost“ und diversen Kurzgeschichten wird der Mann als Protagonist zwar nicht langweilig, aber er kommt schon seit geraumer Zeit nicht mehr gegen die Ausstrahlungskraft von Frauenfiguren an. Gut möglich, dass ich zuletzt auch einfach zu viele Ingmar Bergman-Filme gesehen habe, da geht es ja im Grunde auch immer nur um gebrochene Frauen.
Erzählungen wie „Leichen hinter Wänden“ oder „Der Tag, an dem ich mir selbst den Garaus machen wollte“ schockieren, sei es durch rabenschwarzen Humor oder durch eine ungewöhnliche Erzählperspektive. Man könnte dir gewollte Polarisierung unterstellen…
D.W. Seit wann liegt denn eine solche Polarisierung in der Macht des schaffenden Künstlers? Ist sie nicht vielmehr Ausdruck einer zerrissenen Gesellschaft? Schließlich stelle ich nur einen einzigen Text bereit, wenn der eine Teil darüber lacht und der andere Teil weint und wehklagt, dann sagt das wenig über mich aus. Und viel über die Unterschiedlichkeit der Menschen. Oder nicht?
Schon, aber die Geschichten entspringen doch deiner Phantasie.
D.W. Das mag in der Gesamtheit einer jeweiligen Story stimmen. Aber ich erfinde ja nichts, sondern schreibe lediglich bei den Menschen und ihrem Verhalten ab. Der „rabenschwarze Humor“ ist ja nun wahrlich keine Wonschewski-Kreation. Nein, den gibt es echt! Und die besten trockenen und düsteren Witze über den Tod, die ich im Laufe meines bisherigen Lebens gehört habe, stammen ebenfalls nicht von mir. Leider. Würde ich diesen „rabenschwarzen Humor“ also weglassen, so würde ich riskieren, den Text unrealistisch werden zu lassen, ihn vom Sein und Sprechen der Menschen zu entfernen. Genauso verhält es sich mit dem „Schockieren“ – ja, wir Menschen tun uns gegenseitig Dinge an, die nicht schön sind. Männer misshandeln Frauen oder umgekehrt. Ja, das ist schockierend, ekelhaft und pervers. Aber nicht erst, seit ich es aufschreibe. Wer geschönte Menschen und Plastikwelten erleben will, wird schon fündig werden. Ich für meinen Teil verhebe mich vorerst noch an dem, was mir als Realität vor Augen tritt.
Würdest du einen Liebesroman mit Happy End von David Wonschewski in der Zukunft für möglich halten?
D.W. Aber natürlich. Männer sind in einem gewissen Alter bekanntlich zu den seltsamsten Dingen fähig.
David, vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Franziska Dreke. Die Bilder stammen von Masha Potempa. David Wonschewski ist Autor auf der Leipziger Buchmesse 2014.
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