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Angst vor der Ewigkeit?

Martin Riemer - periplaneta

In Martin Riemers Roman „Post Mortem“ kehren die Toten zurück. Berühmte Figuren der Geschichte müssen sich in einer Welt orientieren, die sich in ihrer Abwesenheit weitergedreht hat. Als sie feststellen, dass sie nicht länger auf Nahrung und Schlaf angewiesen sind, beginnen sie und die Leser*innen sich zu fragen, ob ihre sonderbare Existenz überhaupt noch der Zeit unterworfen ist.

Der Gedanke an Unsterblichkeit ruft bei den Figuren sehr verschiedene Reaktionen wach: Zoe, die an Krebs leidet, würde alles tun, um wieder eine Zukunft zu haben. Ihr Vater, David, hat sich gewünscht, in der Erinnerung seiner Tochter und zukünftiger Enkel weiterzuleben. Bill glaubt, ein Mittel gefunden zu haben, um den Tod auszutricksen, und ist überglücklich. Doch anderen Figuren macht der Gedanke an ewiges Leben Angst.

Martin Riemers Charaktere sind bei weitem nicht die Einzigen, die sich ambivalent mit Unsterblichkeit auseinandersetzen.

Bereits die griechische Mythologie kennt Tithonos, den Geliebten der Göttin Eos, die Zeus in seinem Namen um Unsterblichkeit bittet. Widerwillig tut der Göttervater ihr den Gefallen, aber nutzt aus, dass sie versäumt hat, zugleich um ewige Jugend zu bitten. Man kann sich vorstellen, wie viel Spaß Tithonos an seinem ewigen Leben hatte, bevor er sich schließlich in eine Zikade verwandelte.

Auch zahlreiche Vampirmythen legen nahe, dass jeder, der dem Tod ein Schnippchen schlägt, nicht vollständig zurückkehrt und einen Preis in Form seiner Seele oder ursprünglichen Persönlichkeit zahlt – oder ihn andere zahlen lässt.

Die Frage nach den gesamtgesellschaftlichen Kosten ewigen oder zumindest sehr langen Lebens wird gegenwärtig ernsthafter diskutiert, als man annehmen würde, denn es laufen diverse Forschungsprogramme, die Möglichkeiten zur Ausdehnung des menschlichen Lebens erforschen. Viele Ansätze kreisen dabei darum, die Symptome des Alterns im Körper abzuschwächen. Darunter ist z.B. die Transfusionen des Blutplasmas junger Menschen in den Kreislauf älterer, was bei Mäusen erstaunliche verjüngende Effekte für deren Körper und kognitive Fähigkeiten hatte.

Bei wieder anderen geht es darum, den alternden Körper hinter sich zu lassen. So vermeldete die MIT Technology Review im April 2018, dass es US-amerikanischen Wissenschaftlern gelungen ist, Schweinegehirne sechsunddreißig Stunden lang außerhalb seines Körpers am Leben zu halten, indem sie künstliches Blut hindurchzirkulieren ließen. Die Transplantation eines menschlichen Gehirns in einen neuen Körper ist noch in weiter Ferne, aber solche über den Tod hinaus am Leben gehaltenen Organe könnten wertvolle Versuchsobjekte für neue Heilmethoden sein, deren Erprobung an Menschen zu riskant wäre.

Die Schweine bekamen nichts mehr mit, aber dennoch begannen Forscher und Interessierte sofort, ethische Fragen zu stellen: Welche Rechte haben körperlose menschliche Gehirne? Was, wenn so ein Gehirn das Bewusstsein wiedererlangte und zu einer bewussten Existenz ohne Zugang zur Außenwelt verurteilt wäre?

Der russische Internet-Milliardär Dmitry Itskov will sich laut einem Fluter-Artikel nicht mit der Transplantation von Gewebe aufhalten, sondern gleich sein Bewusstsein in einen Computer und dann einen Roboterkörper übertragen. Er ist optimistisch, dass das in den nächsten Jahren möglich sein wird.

Das alles ist Anlass für Diskussionen, welche Auswirkung die Unsterblichkeit einiger oder aller auf die Welt hätte. Würde es zu Stillstand kommen, weil keine neuen Generationen mit neuen Ideen auf den Plan treten würden, oder böte sich hier eine Chance für noch nie da gewesene Langzeitprojekte? Würde der Fakt, dass sich einige wenige ewiges Leben leisten können, soziale Ungerechtigkeit zementieren? Würden Menschen weniger aus ihrem Leben machen, wenn sie alle Zeit der Welt hätten?

Skeptiker und Enthusiasten liefern sich heftige Diskussionen über Szenarien, die bisher weitgehend hypothetisch sind. Eines dagegen zeichnet sich auf jeden Fall ab: Auch wenn ewiges Leben noch außer Reichweite ist, können wir doch damit rechnen, immer älter zu werden.

Swantje Niemann

 

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