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Andreas Keck “Innenstadtsüchtig”

Andreas Keck

Interview zum Kurzgeschichtenband “Asphaltwiesn”.

Mit „Asphaltwiesn“ legt Andreas Keck, nach seinen beiden Romanen “Schneeblind” und “RUHM!”, skurril belustigende und natürlich auch äußerst ungewöhnliche Großstadtgeschichten vor. Dabei steht er einmal mehr für kultivierte Ambivalenz.

Andreas Keck ist Wahl-Münchner aus zwiespältiger Überzeugung, scheint zwischen den emotionalen Extremen hin- und hergerissen, wie auch seine Protagonisten. Ein Harmoniebedürfnis, ein daraus resultierendes latent therapheutisches Schreiben und die Suche nach Dissonanz und Gegensatz – Versöhnung und Provokation… all das gehört im literarischen Schaffen Kecks zusammen. Sein philosophisches Wissen lenkt dabei ganz deutlich seinen Weltblick – auf das Gute am Krach mit dem Partner oder auf die Gefahren beim Umgang mit Zahnärzten.

Julia Wiese sprach mit Andreas Keck über die Inspirationen und Intensionen, die zu “Asphaltwiesn” geführt haben.

Wie hat denn Ihr Zahnarzt auf die Veröffentlichung von „Asphaltwiesn“ reagiert?

Andreas Keck: Er praktiziert in Garmisch-Partenkirchen – Behandlungszimmer mit Blick auf die Zugspitze, Behandlungsstuhl mit Blick auf einen Flachbildschirm. Wie in der Kurzgeschichte laufen dort Tierfilme, sogar Jadgszenen, wie ich selbst beim Anbohren meines Backenzahns erfahren musste… Zum Glück für meinen Zahnarzt bin ich kein Angstpatient und er somit keine Bedrohung für mich! Ich werde ihm „Asphaltwiesn“ zusenden, im Wartezimmer auslegen wird er es aber wohl kaum…

Welche Gedanken stecken hinter dem Titel?

Andreas Keck: Ich hatte tagelang gegrübelt. Der Arbeitstitel war „Hellabrunn“ – Tiergehege, Wildpark… Es sollte um Abgründe und Animalisches hinter schönen Fassaden gehen. Die Wiesn steht für Traditionelles und Bürgerliches. Asphalt für das Harte und Echte. Der Titel trifft genau den Punkt.

Bekommen Sie Ihre Ideen, indem Sie Ihre Mitbürger bei öffentlichen Veranstaltungen beobachten?

Andreas Keck: Zum Teil ja. In der Stadt ist es aber auch leichter, Leute zu beobachten. Wenn ich mich zum Arbeiten in die Stadt begebe, zum Beispiel in ein Café, habe ich gleich mehrere Inspirationsquellen. Ich bin dann immer am Geschehen dran. Natürlich hör ich auch hin. Dadurch bemerke ich die Konversation am Nachbartisch ebenso, wie die Querelen zwischen der Belegschaft.

Inwiefern gibt Ihnen die Stadt mehr Anregungen zum Schreiben?

Andreas Keck: In der Stadt siehst du die Geschichten direkt vor deinem Auge ablaufen. Auf dem Land müsstest du in die Häuser eindringen. Ich liebe die Bewegung und das Chaos und den Schmutz großer Städte. Ein wenig muss ich auch hier den Geschichten auflauern, denn meistens läuft das Großartige unbemerkt ab; verstohlene Blicke, erste Flirts, sogar Streitereien! Am schönsten ist es, wenn die Stadtmenschen streiten. Dann werden sie so laut, dass sie mir die Geschichte dahinter direkt präsentieren.

Sie sind auf dem Land aufgewachsen, zieht es Sie dorthin noch mal zurück?

Andreas Keck: Im Moment – das heißt seit etwa drei Jahren – bin ich innenstadtsüchtig. Ich bewege mich nicht mehr aufs Land hinaus, nachdem ich die Jahre davor in einem kleinen Haus an einem See am Fuße der Berge gelebt habe.

Was verbindet Sie persönlich mit der Stadt München, dass Sie ihr ein Buch gewidmet haben?

Andreas Keck: Ich lebe gern in München, aber es ist eine Hass-Liebe. In keiner anderen Stadt kann man so konzentriert und geistesgegenwärtig arbeiten. Und in keiner anderen Stadt der Welt fühlt man sich als Kreativer dermaßen allein.

Studiert haben Sie Sozialpädagogik und Philosophie, wann kam der Wunsch auf, die eigenenAndreas Keck Gedanken in Buchform niederzuschreiben?

Andreas Keck: Der Wunsch ist immer wieder da. Er hat keine zeitliche Form. Allerdings muss er gepaart sein mit einem anständigen Maß Selbstvertrauen, sonst fängst du nicht zu schreiben an. Du willst schließlich auch, dass es irgendwann gelesen wird.

Was war zuerst da – der Wunsch, Autor zu werden oder das Vermögen, sich in die Psyche Anderer hineinzudenken?

Andreas Keck: Letzteres. Übrigens betrachte ich mich nicht als Autor. Ein Mensch ist erst ein Autor, wenn er regelmäßig in den Feuilletons großer Tageszeitungen besprochen wird. Da bin ich gnadenlos – mir selbst gegenüber.

Mit welchen fünf Adjektiven würden Sie den typischen Münchner beschreiben?

Andreas Keck: Gepflegt, Unzugänglich, Wohlhabend, Kontrolliert, Aufmerksam

Warum kommt der Münchner charakterlich in „Asphaltwiesn“ so schlecht weg?

Andreas Keck: Ich finde nicht, dass er oder sie schlecht weg kommen. Es sind vielmehr unsympathische Charaktere – wie etwa der bösartige Assessment Center-Bewerber – die sich durch München bewegen und dort ihr Unwesen treiben. Vielleicht macht es diesen Eindruck, weil ich die Tendenz habe, in vielen Geschichten besonders abstoßende Charaktere zu kreieren. Sie könnten aber auch anderswo leben. Der Kindergeburtstag aus „Nymphenburger Porzellan“ könnte gleichermaßen in Berlin, Prenzlauer Berg oder in Hamburg, Eppendorf stattfinden. Auch dort existiert jene wohlhabende, intellektuelle Generation von Eltern, die in ihrer Selbstüberforderung hinsichtlich Kinderaufzucht dermaßen übertreibt.

Aber es gibt den netten Münchner! Wie in „Passenger Kittel“ ist er meist älter, in München geboren, spricht einen wunderbaren Dialekt, redet auf der Straße fast jeden an und hat einen warmen, sehr guten Wortwitz.

Warum bietet Ihnen das Einsame und Ausweglose mehr Stoff zum Schreiben?

Andreas Keck: Weil das Einsame zum Kämpfen antreibt. In der Einsamkeit herrscht völlige Angespanntheit und Aufmerksamkeit. Man achtet auf sich. Auf alles, was man tut. Wenn man gegen Niemanden ankämpfen kann, weiß man nicht, wer man selbst ist.

Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein sagte einmal, er fühle die Anwesenheit eines gefährlichen Panthers, wenn er lange allein und einsam in einem Raum verweile. Das Ausweglose ist nichts anderes als die totale Suche nach einer Lösung. Niemand sucht so leidenschaftlich, wie der Verlorene. Sobald er den Ausweg gefunden hat, ist die Geschichte vorbei.

Glauben Sie an glückliche Zufälle in der Liebe?

Andreas Keck: Ich glaube überhaupt nicht an Zufall.

Haben Sie schon einmal eine Liebesgeschichte mit Happy End geschrieben?

Andreas Keck: Nein. Man kann nur über Liebesgeschichten schreiben, die nicht funktionieren. Was ist denn spannend an einem perfekten Ausflug an den Ostseestrand? Wenn sich die beiden allerdings beim Frühstück in der kleinen Ostseepension bis aufs Blut streiten, wenn sie dann sofort abreisen, wenn Totenstille herrscht im Wagen, und dann seine Hand vorsichtig nach ihrem Knie tastet – da wird Liebe viel deutlicher versinnbildlicht, als wenn beide küssend unter dem Leuchtturm stehen.

Ich danke für das erhellende Interview.

Julia Wiese

www.andreaskeck.de

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