Von einem Verlag, der auszog, den Gleichmut zu lernen
Als ordentlicher Verlag sollte man die eigenen vier Bürowände hin und wieder verlassen und die Menschheit unmittelbar mit seiner Präsenz beglücken. Eine Lesetour hat nicht nur den Vorteil, dass man sich als „Verlag zum Anfassen“ präsentieren kann, sie dient indirekt auch als Therapieform gegen diverse Berührungsängste der Autoren. Denn dass ein Mensch, der im Extremfall in Kurzgeschichten denkt und in Alexandrinern redet, ab und zu das Fremdeln anfängt (bzw. befremdlich wirkt), ist wenig überraschend. So begaben wir uns also auf unsere erste Lesereise mit dem periplanetarischen Haus- und Hof-Autor Thomas Manegold, seines Zeichens leidenschaftlicher Zyniker mit temporären misanthropischen Anflügen …
Dienstag, 24. Juni – 1. Station: Fürth, Bahnhof, Gleis 0, Ausstellung „Im Korridor“ – Bahnhofskunst im Franken-Kiez
Die Stadt Fürth (die eigentlich gar keine Stadt ist, sondern ein Teil der oberfränkischen Metropolregion Nürnberg-Fürth- Erlangen) lässt bei dem eingereisten Berlinbewohner unerwartete Heimatgefühle aufkeimen. Döner, Asia-Imbiss, Italiener, Kneipe, Döner, Kneipe, Bäcker usw. Multikulturelles Geschäft reiht sich ans andere und neben Hunger und Durst haben die Fürther laut Aussage der Ausstellungs-Veranstalter vor allem eines: Interesse an Kunst. Dies wird wohl auch der Grund dafür sein, dass die Kunstausstellung „Gleis 0″, die im ausrangierten Bereich des Hauptbahnhofes ihren Platz gefunden hat, nach den angesetzten knapp drei Wochen Dauer noch einmal um sechs Wochen verlängert wurde.
Alexander von Prümmer, selbst Künstler und Initiator von“Gleis 0“ und „Im Korridor“, hatte uns eingeladen, und obwohl der Lesungs-Termin mitten in der Woche lag, fanden sich trotzdem einige Gäste ein, die den literarischen Ausführungen des Herrn Manegold beiwohnten. In einem kleinen, hübsch eingerichteten Raum präsentierte ToM dem staunenden Publikum dystopische Visionen, Riesenkakerlaken und Grillabende der etwas anderen Art. Nach einigen technischen Problemen klappte es dann auch mit den Videoprojektionen, und last but not least wurde Fürth die große Ehre zuteil, die Premiere des neuen Manegold-Hörbuches „Rattenfänger“ erleben zu dürfen. Multimedial eben, so wie wir uns das auf die Fahnen geschrieben haben. Uns hat es sehr gefallen, dem Publikum auch, und die anschließende Party im kleinen Kreise war „gründlich“, wohlbemerkt NACHDEM ToM den Verlagswagen umgeparkt und dabei schon nach 50 Metern in das dichte Netz frankonischer Polizeipräsenz eingefahren war … Fazit: Franken ist sehr gut behütet und gar nicht so schlimm, wie immer alle (und vor allem wir!) behaupten, und … ach ja: Danke, Alex und Thorsten, das Augustiner war hervorragend!
Mittwoch, 25. Juni – 2. Station: Würzburg, Off-Day – Evolution rückwärts im Leichenschauhaus
Unser freier Tag in Würzburg war von einem ebenso grusligen wie auch heilsamen Erlebnis geprägt, hatten wir uns doch, als bekennende Fußball-Verweigerer, wider besseren Wissens zu einem „EM-Public-Viewing“ hinreißen lassen. Die Tatsache, dass Public Viewing im Englischen „öffentliche Aufbahrung eines Leichnams“ bedeutet, war dabei noch der geringere Gruselfaktor. Zwar fand dieses Ereignis im eher alternativ angehauchten AKW statt, was jedoch – wie wir schnell feststellen durften – der Metamorphose mehrerer Individuen zu einer einzigen, grölenden Masse in keinster Weise einen Abbruch tat. Ja, auch Studenten und Hippies werfen mit Plastikbechern um sich, wenn die Übertragung kurzfristig ausfällt … Fazit: Nie wieder öffentliches Leichenbeschauen in großen Hallen voller Halbaffen, die Tröten und Trillerpfeifen in die Finger bekommen haben! So etwas ist pietätlos.
Donnerstag, 26. Juni – 3. Station: Mainz, Pengland – ZEN für Fortgeschrittene
Von Würzburg nach Mainz sind es gerade mal 150 Kilometer. Wenn allerdings das Navigationsgerät mit rotblinkendem Ausrufezeichen und staugefahrgeschwängerter Stimme kontinuierlich insistiert, man solle die Autobahn umfahren, kann diese kurze Strecke zu einem echten Roadtrip mutieren. Als wir vier Stunden, ein Unwetter und viele schöne Landstraßeneindrücke später endlich in Mainz ankamen, war die Stimmung… nennen wir es mal: leicht angespannt. Die Tatsache, dass uns der für diesen Tag Verantwortliche des Penglands mit den Worten „Hallo, ich bin der Karlheinz (Name wurde von der Redaktion geändert) und weiß erst seit zwei Stunden von eurer Lesung“ empfing, machte die Sache auch nicht unbedingt besser. Es stellte sich schnell heraus, dass diese Aussage gerne als Drohung aufgefasst werden durfte. Unsere Ansprechpartnerin: nicht erreichbar, weil im Ausland. Schlafplätze? Öhm, ihr wollt schlafen? Und essen auch noch?! Um die Ecke gibts nen super Dönerstand! Und hat hier irgendjemand die Kabel für dieses Dingens, äh, den Videobeamer gesehen? Nachdem ein vollkommen verpeilter… nein politisch korrekt…. überforderter Mensch inmitten des Wustes aus kaputter Technik und dem Mobiliar des Vormieters auch noch sagte…. „Eh Alter, es ist Dein Job den Kram hier aufzubauen, schließlich sind wir kein Dienstleistungsunternehmen!“ sagte ToM leicht hyperventilierend: „Ich geh wieder!“. Als psychologisch geschulte Sozialarbeiter mit Zusatzausbildung „Diplomatie“ konnten Marry und ich dem Fluchtreflex unseres Autors jedoch nach einigen Anstrengungen entgegenwirken und die Gesundheit des ehrenamtlich anwesenden Nichtdienstleisters dennoch aufrechterhalten. Dafür kam jede erdenkliche Technikkomponente, vom exotischen Kabel, über Stromverteiler bis hin zur Monitorbox zum Einsatz, die ToM nur „für alle Fälle“ mal ins Auto geworfen hatte. Die Lesung war letztendlich wegen eben dieser Pedanterie unseres Chefcholerikers doch noch ganz nett, auch wenn ToM sich ausschließlich für die Belegschaft des Penglands prostituierte (was kein Wunder war, da die Flyer für die Veranstaltung anscheinend ausschließlich clubintern herumgereicht wurden). Wir ließen die Nacht mit einem Besuch an der Kunstakademie ausklingen, wo wir komischen Kurzfilmen, Heineken und verwirrten Studenten begegneten. Unser Mittagessen (Falaffel…) nahmen wir früh um zwei ein, und, ja, wir hatten sogar ein Dach über dem Kopf. Fazit: Ein Worst-Case-Szenario muss nicht schlecht sein. Man weiß hinterher auf jeden Fall, wie man es beim nächsten Mal nicht mehr machen sollte!
Freitag, 27. Juni – 4. Station: Café23, Kaiserslautern – Kaffeestreif am Horizont
Noch geplagt von der letzten Odyssee hatten wir keine allzu große Hoffnung mehr, einen fulminanten „Tourabschluss“ erleben zu dürfen. Kaiserslautern provoziert beim Besucher weder spontane Kniefälle noch inbrünstigen Minnegesang ob der Schönheit der Stadt, wobei der rege Flugverkehr über der nahegelegenen US-Air-Base Ramstein sein Übriges tut. So erreichten wir – „leicht angespannt“ – unsere letzte Station, das Café23. Die Pforten öffneten sich und … Siehe, es ward Licht! Wir betraten ein wunderschönes Café mit angrenzendem Ladengeschäft, kuschlig eingerichtet und gesegnet mit einer Getränkekarte, die jedem Koffeinjunkie die Freudentränen in die Augen treibt. Der freundliche Empfang von Katrin und Robert stimmte unsere Launen final zur Umsiedlung vom Nordpol zum Äquator, wo sie sich im sonnigen Gefühl räkelten, endlich angekommen zu sein. Im Café 23 gehen Passion und Geschäft Hand in Hand. Im Laden steht in erster Linie, was Robert gefällt: Allerlei skurrile Sachen, frauenherzenerweichende Plüschviecher, vor allem Bücher, Comics und Fantasy- Zubehör. Viele Dinge, die unsere Welt eigentlich nicht braucht, ohne die sie aber grau und kalt wäre … schnief. Nach kompetenter Durchkostung aller 120 Kaffeesorten (geschätzter Wert) waren Herr Manegold und dessen Blutdruck auch bereit, die Welt ein weiteres Mal zu retten. Kein leichtes Unterfangen, fürwahr, doch war unser Autor mit einem Male kaum wiederzuerkennen. Da stand ToM, adrett mit Krawatte um den Hals, frei rezitierend, improvisierend und vor allem ziemlich imponierend vor dem Publikum und ging vollkommen in seinem Element auf. Er hinterließ verzückte Gäste, einen begeisterten Journalisten und zwei Verlagsmitglieder, die bis heute spekulieren, dass dem letzten Heißgetränk irgendetwas Verbotenes beigemengt war … Fazit: Verschwörer müssen zusammenhalten. Denn vergesst eines nie: DIE ILLUMINATEN SIND UNTER EUCH …
… demnächst vielleicht auch in Ihrer Stadt.
Von Jasmin Bär