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Irre sind menschlich

Thomas Manegold

Die Geschichte der Irrenanstalt.

Beschäftigt man sich mit der Geschichte der psychiatrischen Heilanstalt, ist das erste, was einem bewusst wird: Menschen waren schon immer wahnsinnig. Es gab schon immer einzelne, die in der Gesellschaft nicht salonfähig waren.
Auf der anderen Seite stehen wiederum die, welche gesellschaftsfähig sind und sich fragen, was macht man mit diesen armen Irren? Der Umgang mit psychisch Kranken ist ein Drahtseilakt zwischen Mitleid und der Angst vor ihren nicht nachvollziehbaren Emotionen.

per irre 490px-Richer_AttaqueIn der Antike half man sich, indem man sie zur Ader ließ, ihnen Massagen gab, ihnen körperliche Ertüchtigung an´s Herz legte und es mit ein paar Diäten versuchte. Also fast alles, was der gesunde Bürger des 21. Jahrhunderts auch ständig macht.

Man regte ihren Verstand mit hoher Literatur, Theater, Reisen und Brettspielen an. Klingt doch eigentlich gar nicht so verkehrt. Der römische Schriftsteller Celsus beschreibt verschiedene Möglichkeiten zur Behandlung: Da wäre die heilsame Lüge, der heilsame Schmerz, der heilsame Schrecken, die heilsame Ablenkung und vor allem das heilsame Gespräch. Gesetz dieser Heilmethode wären wir damals alle wahnsinnig gesund gewesen oder wer von uns therapiert sich oder andere nicht mindestens ein Mal am Tag durch Lügen, Sprechen, Ablenken?

Im Mittelalter versuchte man es mit der Heilung durch christliche Reliquien – immerhin lässt der Herr einen nie im Stich. Wenn die Wunderknöchelchen, Haarlocken und sonstigen Überreste der Heiligen nicht funktionierten, probierte man es mit dem berühmt berüchtigten Exorzismus, der uns einige cineastische Horrorfilme bescherte.Die ersten spezialisierten Anstalten entstehen im 12. Jahrhundert, von denen man überraschender Weise fast nur Gutes über den Umgang mit den Patienten liest. Jedoch wird die Überraschung darüber schnell gemildert. Die dort behandelten, waren lediglich die ganz leichten Fälle. Mit den schweren ging man deutlich rabiater um: Man sperrte sie in die Stadttore oder in eigens zur Aufbewahrung von Irren erbaute Holzkisten, worin sie dann verendeten.

per irre Charles_Bell_-_The_ManiacIn der Epoche der Aufklärung sah es für die geistig Kranken auch nicht besser aus. In einer Zeit, in der die Vernunft das Maß allen Handelns sein sollte, passten Menschen, die diese nicht mehr hatten, gar nicht ins Weltbild. Also wurden Zucht- und Tollhäuser errichtet, aus denen kaum wieder einer hinaus kam. Hier herrschte die Gewalt des Stärkeren: Die Pfleger prügelten und auch die Patienten gingen mit Ruten, Stöcken und Peitschen aufeinander los. Auch kalte Sturzbäder, Zwangsstehen oder das Geschwüre verursachende Einreiben der Kopfhaut mit Salzen gehörten zum Alltag. Völlig unkontrollierbare Fälle kettete man zudem an.

Im 18. und 19. Jahrhundert begann ein Umdenken bei der Behandlung psychisch Kranker – man bemühte sich um relativ menschenwürdige Verhältnisse. Als besten Ort für so eine Behandlung erkor man die ländliche Abgeschiedenheit aus. Hier sollte der Kranke zur Ruhe kommen und von den negativen Einflüssen der Außenwelt abgeschirmt werden. Das enorme Bevölkerungswachstum und die Verstädterung am Ende des 19. Jahrhunderts führten zu immer mehr Patienten, sodass ein regelrechter Psychiatrie-Bauboom entstand.

Mit der Allmacht der Zerstörung stampfte der 1. Weltkrieg all diese Errungenschaften in den Boden. Der unzumutbare Zustand des 17. Jahrhunderts hielt wieder Einzug in die Anstalten, sodass räumliche Enge, Prügel, Krankheiten und Unterernährung zur Normalität wurden.

Nach den Wirren des 1. Weltkrieges gab es durch den neu entstandenen Wissenschaftszweig der Psychoanalyse und der Verhaltensforschung neue Impulse im Umgang mit den Patienten. Der wegen seiner Rolle während des Nationalsozialismus umstrittene Psychiater Hermann Simon entwickelte zum Beispiel ein Beschäftigungs- und Arbeitskonzept. Jeder Patient musste mitarbeiten und helfen, konnte er aufgrund seiner Krankheit mal nicht arbeiten, wurde das streng protokolliert. Das krankheitsbedingte Fehlen lag überraschender Weise unter 1%. Grundlagen des Ganzen waren ein strikt geregelter Tagesablauf, Strafmaßnahmen bei Missachtung und Disziplin. Viele warfen Simon genau diese Strenge vor, die den sowieso schon gebeutelten Kranken auch noch derart unter Druck setzt und jede Selbstbestimmung versagt. Dennoch sprach das Konzept für sich: Es gab deutlich weniger Gewaltanwendung, Beruhigungsmittel wurden kaum gegeben und sowohl Patienten als auch Pfleger waren zufriedener.

Doch diese Phase währte nur kurz und der Nationalsozialismus setzte ihr 1933 ein jähes Ende. Man kann die ‚Behandlung‘ der ‚Schwachsinngen‘ in einem Satz zusammenfassen: Die Nationalsozialisten töteten sie.

Schon kurz nach Kriegsende wurde die katastrophale Situation in den Anstalten offensichtlich und es begann eine bis heute andauernde immer weiter fortschreitende Verbesserung der Situation psychisch Kranker. Es wurden neue Prämissen wie Freiraum, Privatsphäre, Rückgliederung in die Gesellschaft und Mitbestimmung in der Behandlung verankert.

Dennoch bleibt die Psychiatrie in den Köpfen ein Ort des Grauens. Da möchte niemand hin und schon gar nicht, wenn man eigentlich gesund ist. So geschehen in Thomas Manegolds Kurzgeschichtensammlung: Morbus Animus. Psychopathische Kurzgeschichten und Tiraden. Ähnlich wie in ihrer Historie kommt die Irrenanstalt hier nicht sonderlich gut bei weg… Aber eins wissen wir heute immerhin schon: Irre sind menschlich.

Lisa Seltmann

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