
Ein Interview mit Mike Krzywik-Groß.
Preisfrage: Was haben Star Wars, Pretty Woman und Herr der Ringe gemeinsam? – Alle drei Werke sind nach einem narrativen Schema aufgebaut, das gemeinhin als „Heldenreise“ bekannt ist. Zu eben dieser haben Mike Krzywik-Groß und Ralf Kurtsiefer ein ungewöhnliches Buchprojekt konzeptioniert, um Autoren dieses sagenhafte “Erfolgrezept für Geschichten” näherzubringen. Die Heldformel enthält einen Sachtextteil, einen Soundtrack und eine Erzählung, die von einem Kollektiv von acht Autoren geschrieben wurde. Das klingt nach ganz schön viel Arbeit – aber sie hat sich gelohnt, denn das crossmediale Buch erscheint im November bei Periplaneta in der Edition Drachenfliege.
Anlass genug, um mit Mike über Herkulesaufgaben, Superhelden und Erdogan zu sprechen:
Periplaneta: Über die Stationen der Heldenreise sind bereits mehrere Bücher veröffentlicht worden. Warum jetzt noch eines?
Mike Krzywik-Groß: Natürlich gibt es darüber schon zahlreiche Bücher. Manche setzen den Schwerpunkt auf die Mythenforschung, andere kommen aus einem spirituellen Umfeld und wieder andere sind in einem literaturwissenschaftlichen Kontext entstanden. Aber wir hatten einen ganz anderen Ansatz und das macht die Heldformel zu etwas Besonderem.
Wir wollen AutorInnen inspirieren und ihnen ein kreatives Praxishandbuch bieten, mit dem sie sofort loslegen können. Uns war es wichtig, die Einstiegshürde in die Heldenreise so niedrig wie möglich zu halten. Wenn ich also etwas über Dramaturgie lernen möchte und verstehen will, warum manche Geschichten spannend auf mich wirken und andere nicht, dann kann man genau dies auf unterhaltsame Weise in unserem Buch erfahren.
Darüber hinaus ist unser Buch völlig anders aufgebaut als alle anderen Bücher zu diesem Thema. Wir haben eine spannende, exemplarische Geschichte verfasst und erklären im theoretischen Teil, warum wir innerhalb der Geschichte Entscheidungen so getroffen haben, wie wir sie getroffen haben.
Und obendrein haben wir die Heldformel vertont. Ralf Kurtsiefer hat sich jede Station der Heldenreise vorgeknöpft und ein entsprechend orchestrales Lied dazu aufgenommen. Man muss sich den Stimmungsaufbau wie bei einem Soundtrack zu einem Film vorstellen – großartig!
P.: Die Geschichte “Barnors Herz” wurde von insgesamt acht Autoren geschrieben. Trotzdem liest sie sich, wie aus einem Guss. Wie wurde der Schreibprozess an der Geschichte koordiniert?
M.K.-G.: Puh, das war eine Herkulesaufgabe. Hätten wir nicht solch großartige Autorinnen und Autoren an Bord gehabt, wäre dieses Vorhaben sicherlich nicht möglich gewesen. In erster Linie bedeutet ein Projekt mit so vielen Beteiligten eines: sehr viel zusätzliche Arbeit.
Nachdem Ralf mit seiner Idee zur Heldformel an mich herangetreten war und sich bereits mitten im Komponieren befand, erstellte ich ein Exposé für die Erzählung. Natürlich hielt ich mich recht eng an die Struktur der Heldenreise. Nachdem sich Geschichte und Figuren etabliert hatten, teilte ich die Autoren den einzelnen Stationen der Heldenreise zu. Manche übernahmen gleich zwei Abschnitte.
Dann ging es chronologisch durch die Erzählung. Das kostete unglaublich viel Zeit, da nicht parallel an verschiedenen Passagen gearbeitet werden konnte. Doch nur so konnte angemessen auf dem bereits geschriebenen Teil aufgebaut werden.
Als Nächstes folgten zahlreiche Lektoratsdurchgänge meinerseits. Ich machte mich auf die Suche nach inhaltlichen Fehlern, kleinen und großen Ungereimtheiten und bekam natürlich auch Hinweise der Autoren. Anschließend gaben wir das Manuskript einer befreundeten Lektorin, da wir genau das von Dir angesprochene Problem sahen: Was ist, wenn sich unsere Erzählung wie Stückwerk liest? Das mussten wir tunlichst vermeiden. Zu guter Letzt lektorierte Periplaneta natürlich ebenfalls noch einmal. Erst dann waren wir zufrieden mit dem Ergebnis.
P.: Wie habt ihr die Autoren gefunden?
M.K.-G.: Ralf und mir war es wichtig, dass wir alle kannten. Hätten wir uns Autoren via Ausschreibung gesucht, hätte das Projekt nicht funktioniert.
Die Heldformel ist ein Herzensprojekt, in welches wir sehr viel Zeit investiert haben. Und ebendiese Zeit wollten wir mit Menschen verbringen, die wir mögen und schätzen. Unsere Mitautoren sind allesamt feine Menschen. Zudem ist jeder Einzelne von ihnen ein großartiger Autor bzw. eine herausragende Autorin. Ich wusste bei jedem genau, was ich von ihm oder ihr bekomme, wenn ich ihnen meine Geschichte und meine Figuren anvertraue.
Wenn ich mir heute den Text noch einmal durchlese, bin ich begeistert von all den kleineren und größeren Ideen, welche die AutorInnen eingebracht haben.
P.: Du bist Phantastik-Autor und hast für Deine Beiträge in verschiedenen Buchreihen 2013, 2014 und 2015 den Deutschen Phantastik Preis erhalten. Schreibst Du alle Deine Geschichten und Romane nach dem Grundgerüst der Heldformel?
M.K.-G.: Hin und wieder packt es mich, aber nur im Rahmen von Kurzgeschichten, dass ich einfach drauflos schreibe, weil ich eine fesselnde Idee habe. Aber alles, was länger ist, bedarf einer genaueren Planung. Dabei ziehe ich sehr wohl die Heldformel zu Rate und überprüfe die Geschichte oder die Entwicklung einzelner Figuren anhand des Konstrukts. Und hin und wieder entscheide ich mich ganz bewusst dafür, an der einen oder anderen Stelle vom Schema abzuweichen.
P.: In dem Sachteil äußerst Du Dich über die allgegenwärtige Verwendung des Heldenbegriffs (Lieferheld, Familienheld, …) durchaus kritisch. Was glaubst Du: Welcher gesellschaftliche Prozess hat dazu geführt, dass es so viele Alltagshelden gibt?
M.K.-G.: Eine sehr gute Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Die Deutschen hatten ja schon immer was für die Heldenverehrung übrig. Ob es die Nibelungen waren oder die Nazis, Heldenverehrung war sehr lange Zeit en vogue. Erst im Nachgang des Nationalsozialismus etablierte sich der Gedanke, dass ein einzelner Heilsbringer vielleicht nicht die beste Idee sei. Speziell in Westdeutschland wurde der Begriff Held weitgehend verbannt, während es im Osten zumindest noch den Held der Arbeit gab.
Es kam zur Wiedervereinigung, Gerhard Schröder führte eine Schlussstrichdebatte und die Fußballnationalmannschaft wurde Weltmeister. Deutschland war wieder wer in der Welt und Stimmen forderten einen unverkrampfteren Umgang mit der Nazizeit. Es etablierte sich ein neues, unreflektiertes Selbstbewusstsein; inklusive von Auslandeinsätzen der Bundeswehr und einer Führungsrolle in Europa. (Kann man sich heutzutage kaum noch vorstellen, dass es einmal anders war, da es sich schon so gewohnt anfühlt.) Im Fahrwasser dieser Auseinandersetzung verlor man das Fingerspitzengefühl, wenn es um die besondere Rolle der Deutschen in der Weltgeschichte ging. Es folgte eine Enttabuisierung der Sprache, die auch nicht halt vor dem Begriff Held machte.
Doch der Wunsch nach einem Helden ist kein rein deutsches Phänomen. Auch der Erfolg von autoritären Anführern wie Trump, Erdogan oder Orban zeigen, wie sehr Gesellschaften sich auf eine Person – einen Helden – konzentrieren wollen, anstatt sich kollektivistisch aufzustellen. Ich hatte mal die Hoffnung, dass wir uns langsam in Richtung einer postheroischen Gesellschaft bewegen könnten. Stattdessen haben wir nun die postfaktische Gesellschaft. Mich lässt das schaudern.
P.: Welche persönlichen Helden hast Du?
M.K.-G.: Ich gehöre der Kill-your-Idols-Generation an. Mir ist der Wunsch nach Heldentum schon immer suspekt gewesen. Nichtsdestotrotz habe ich in vielen Lebensbereichen Menschen, die ich für das, was sie tun, sehr schätze. Ob es Trent Reznor ist, der hervorragende Musik macht oder Tim Burton, der zauberhafte Filme dreht. Aber Helden? Nein danke.
P.: Ein Gedankenexperiment: Du bist Autor und zugleich Protagonist in Deinem nächsten Buch – und hier natürlich der Held ;). Welche persönliche Entwicklung würdest Du Dir selbst auf den Leib schreiben?
M.K.-G.: Ich hätte natürlich einen ausgefeilten Plot, wie sich ein unscheinbarer Autor phantastischer Literatur hin zu einem Superhelden entwickelt. Was denn sonst?!
P.: Wie konnte ich nur fragen 😉 Herzlichen Dank für das Interview!