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Wer darf in Gary Flanells Bart überwintern?

Angst vor blauem Himmel (c) Periplaneta

Nach “Stuntman unter Wasser” ist nun Gary Flanells zweiter Erzählband “Angst vor blauem Himmel” erschienen. Zu diesem Anlass hat er mit Swantje Niemann über Musik, Lieblingszitate, Winterschläfercastings und “gepflegten Anarchismus” gesprochen.

Gibt es bei einer oder mehreren Geschichten einen ganz klaren Moment, der dich dazu inspiriert hat? Wenn ja, was für einen?

Reale Ereignisse, die zum Schreiben angeregt haben, gab es eine Menge. Allerdings wird vieles nochmal durch den Kreativwolf gedreht und dabei so verfremdet, dass der ursprüngliche Impuls nicht immer auszumachen ist. Ok, es gab da wirklich einen Aushang, auf dem nach einem Haustier gefahndet wurde. Auch die 90 Minuten meines Lebens, in denen ich mir Rambo I zum ersten Mal angeschaut habe, waren definitiv wichtig. Also ja, viele Geschichten sind von realen Ereignissen inspiriert, aber nicht dahingehend, dass ich hier Biografisches verarbeite.

Pressefotos_Gary_Flanell_Credit_Gabriele Summen

In einer deiner Geschichten bietet der Bart einer Figur vielen kleinen Tieren über die kalten Monate hinweg Unterschlupf. Wenn du in der Situation wärst, ein Winterschläfer-Casting zu veranstalten: Welches Tier dürfte es sich in deinem Bart bequem machen?

Erstmal müsste ich für ein Casting ja verschiedene Kandidaten einladen, sonst wäre es ja kein Casting. Das wären dann Amsel, Drossel, Fink und Star, Hund, Katze, Maus und Elefant. In die engere Wahl für mein körpereigenes Winterquartier kämen sicher Katze und Drossel.

In „Angst vor blauem Himmel“ geht es immer wieder um Musik. Hast du einen Schreibsoundtrack? Gibt es bestimmte Songs, die du eng mit einzelnen Geschichten im Buch assoziierst?

Die Songs, die für mich relativ dicht dran sind an den Geschichten, werden oft vor der eigentlichen Geschichte zitiert. Von alten Punkbands wie Poison Idea oder Mega City Four bis zu Dolly Parton ist alles Mögliche dabei. Viel unterschiedliche Musik zu hören ist schon wichtig, immer nur im Punkrock rumzusumpfen wäre mir zu öde.

Du beschäftigst dich als Redakteur auch sonst viel mit Musik. Hast du derzeit einen Geheimtipp?

Naja, wenn eine Band oder eine Künstler_in eine Platte rausbringt, ist sie ja so geheim nicht mehr. Aber Tipps für großartige Bands wären derzeit Algiers (Post-Punk-Neo-Soul-Electronic-Post-Punk. Großartig),

Melissa Laveaux (Singer, Songwriterin), Dead Brothers (ChansonPunkFolk Noir aus der Schweiz) und Ifriqiyya Electrique (schönes Gemisch aus Industrial, Post-Punk, Gnawa und nordafrikanischen Sufi-Gesängen.).

Auf deiner Facebookseite und in deinen Geschichten geht es immer wieder um Punk(igkeit) und deine Vita stellt dich als „Vertreter des gepflegten Anarchismus“ dar. Wie definierst du das für dich selbst?

Lange Zeit hätte ich Anarchismus einfach als eine gesunde Prise Chaos und Unvorhersehbarkeit gesehen. Mittlerweile würde ich das allerdings eher so sehen, dass zum Anarchismus auch Aspekte der Selbstorganisation und –ermächtigung gehören. Also das Aktiv-Werden auf lokaler Ebene, gekoppelt mit dem kritischen In-Fragestellen von Autoritäten.

Apropos Facebook: Was bedeutet der finnische Satz, den du als Lieblingszitat angibst?

„Lempipuuhiani niin ikään runkkaamisen ja maalaamisen lisäksi oli kuseminen sillalta, mieluummin virtaavaan veteen, myötävirtaan.“

Es handelt sich um ein Zitat von Kalervo Palsa. Einem finnischen Maler, mit Hang zum Absurden. Übersetzt bedeutet es:

“Mein liebster Zeitvertreib – neben der Masturbation und der Malerei – war es, von einer Brücke zu pissen, am liebsten in fließendes Wasser, stromabwärts.”)

Du hast vor zwei Jahren ein neues Studium begonnen: Für welches Fach hast du dich entschieden und warum?

Weil man als freischaffender Autor so unheimlich gut und regelmäßig Geld verdient, habe ich begonnen Soziale Arbeit zu studieren. *Zwinker zwinker* War eine der besten Entscheidungen seit langem, weil vieles, was dort vermittelt wird, mit meiner Lebensrealität zu tun hat. Und auch, weil ich gemerkt habe, dass ich eigentlich schon seit Ewigkeiten soziale Kulturarbeit mache, ohne es je so zu nennen. Und mal ehrlich: Alle paar Jahre mal das Hirn mit neuem Input zu füttern, neue Anregungen zu bekommen und das, was man so tut, zu reflektieren, würde jedem guttun.

Lange Nacht der Subkultur Gary Flanell

Was für kreative Projekte stehen bei dir als Nächstes an?

Da ist einiges in der Pipeline. Musik machen zum Beispiel. Entweder solo oder mit Atomvulkan Britz, einem wunderbaren Noise-Dub-Duo mit dem Kollegen Wolfgang Noise. Was das Schreiben angeht: Ein geplantes Romanvorhaben an den Start bringen, weitere Geschichten mit der Spinne Pup ausformulieren. Ansonsten: Taschen aus Pfandflaschen oder Leuchtreklamen aus Menschenfleisch basteln. Es gibt viel zu tun.

Danke für das Interview.

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