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Über den Mut, eigene Wege zu gehen

Interview mit Dorothee Frauenlob.

Dorothee Frauenlob ist gelernte Physiotherapeutin, Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin, Lehrerin … und jetzt auch Periplanetanerin. Mit ihrer betörenden Geschichte „Die Träne, der Tropfen und das Meer“, welche Nicole Altenhoff wundervoll illustrierte, bereichert sie die Edition Drachenfliege. Im Interview verrät die Berlinerin, wie es sie von der Physiotherapie zur Kunst verschlug, woraus sie ihre Inspiration zieht und was Religion und Heimat für sie bedeuten.

Eigentlich bist du gelernte Physiotherapeutin. Warum hat es dich später doch noch beruflich zur Kunst verschlagen?
Dorothee: Der Kunst gehörte schon immer meine Leidenschaft. Ich schrieb und spielte, inszenierte und fotografierte schon als Kind. Damals machte ich das aber alles für mich allein – ich dachte, es wäre egoistisch und nutzlos für andere Menschen. Ich hatte gelernt, dass es viel „sinnvollere“ Berufe gibt. Als Tochter einer Ärztin und eines Pfarrers lag der therapeutische Mittelweg auf der Hand. Ich funktionierte gut darin. Aber ich war nicht erfüllt und rannte vor dem weg, was mich eigentlich ausmachte. Erst im Laufe vieler Jahre fand ich zu dem zurück, was ich in mir vergraben hatte. Gerade die scheinbar verlorenen Jahre waren wichtig auf meinem Weg und wirken sich prägend in meinem künstlerischen Schaffen aus.

Die_Traene_doro

Du hast mittlerweile viele berufliche Standbeine: Schauspielerin, Regisseurin, Dozentin, Fotografin, Autorin … Für was schlägt dein Herz am meisten und warum?
Dorothee: Ich liebe die Kombination meiner Arbeitsbereiche. Ich bin im Herzen eine Regisseurin, die auch schreiben, spielen, lernen und komponieren muss – denn all das brauche ich in der Regie. Vieles, was ich für Bühne oder Film schreibe und unterrichte, inszeniere ich auch. Das Schauspielstudium hat mich perfekt auf die Regie und das Unterrichten vorbereitet. Allerdings kann man nicht alles mit der gleichen Intensität tun – Regie und Schreiben werden immer mein Fokus bleiben.

Du sagst, dass das Schreiben dich bei Verstand hält. Was genau meinst du damit?
Dorothee: Wer schreibt, ist näher an sich selbst und der jeweiligen Situation dran. Dabei kanalisieren sich Gedanken und entwirren sich, indem sie die Finger passieren und sich auf dem Papier neu sortieren. Was ich denke, verstehe ich manchmal erst richtig, wenn ich es ausformuliert habe bzw. entwickelt es sich weiter in diesem Moment. Das trifft z.B. auch auf die Figurenentwicklung zu: Wenn ich manchmal überlege, wie genau die Geschichte weiter geht, dann hilft natürlich ein vorher angefertigtes Skript-Skelett, Clustering, Figurenarbeit, etc. Dennoch entdecke ich meine Charaktere erst so richtig während des Schreibprozesses. Ich weiß genau genommen selten, ob die Geschichte gut oder böse für die Figur enden wird. Insofern hält das Schreiben mich nicht nur bei Verstand, sondern verbindet mich zutiefst mit mir selbst und dem, was in meinem Leben geschieht.

Unter Wasser © Nicole Altenhoff

Wer oder was hat dich zu deinem Kunstmärchen „Die Träne, der Tropfen und das Meer“ inspiriert?
Dorothee: Die Erfahrungen in meinem eigenen Leben, aber auch das, was ich in meinem Umfeld erlebe: wie Menschen sich und ihr Leben wahrnehmen, wie ihre Vergangenheit sie prägt und welche Konsequenzen sie daraus für ihr weiteres Sein und Tun ziehen. Ich habe eine große Leidenschaft dafür, Menschen zu ermutigen, ihren eigenen Weg zu finden und auch zu gehen. Zu der Figur der „Träne“ hat mich ganz konkret meine Schwester inspiriert – ohne sie wäre es ein anderes Buch geworden.

In dem Märchen ist eines der Hauptmotive die Unzufriedenheit mit sich selbst, weil man sich zu stark mit anderen vergleicht. Als Künstlerin ist dir dieses Problem vielleicht auch bekannt. Wie gehst du damit um?
Dorothee: Das Vergleichen macht nur dann unzufrieden, wenn man nicht weiß, wer man ist und wozu man da ist. Ich muss nicht neidisch auf meinen Kollegen sein, der schon das fünfte Sachbuch herausgibt, wenn ich keine Sachbuchautorin bin. Unsere Gesellschaft lebt vom ständigen Vergleichen. Deswegen laufen auch so viele innerlich orientierungslose, getriebene und unglückliche Menschen herum.
Mich in solchen Anflügen der Unzufriedenheit auf meine ureigene Identität als „gänzlich geliebtes Wesen“ zu besinnen, das in seiner Persönlichkeit und auch im künstlerischen Sein individuell ausgestattet ist, hilft mir, stattdessen Gelassenheit, Dankbarkeit und Vertrauen zu haben. Jenseits aller Kontrolle und allen Könnens ist die Hingabe und Liebe zu den Dingen, die ich tue, entscheidend. Vielleicht werden sie ein Erfolg – vielleicht aber auch nicht. Ob ich mit dem Endresultat zufrieden bin, hängt letztlich von meiner Definition von Erfolg ab.

Viele deiner Gedichte sind Gebete. Welche Rolle spielt Religion für dich?

Im Regen © Nicole AltenhoffDorothee: Religion ist für viele eine unnütze, weltfremde Vertröstung auf das Jenseits. Dieser Gedanke nützt tatsächlich nichts ohne die Erfahrungen im Hier und Jetzt. Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. Das allein hätte kaum gereicht, wäre es nicht für mich selbst auch zu einer kraftvollen Erfahrung geworden. Der Glaube gibt mir eine unerschütterliche Identität als geliebter Mensch: Ich habe irgendwann verstanden, dass ich um meiner selbst willen geliebt werde. Daher konnte ich auch daran festhalten, dass es für mich einen guten Weg gibt – auch in all den Jahren, in denen ich eigentlich dachte, dass mein Leben vorbei sei. Und wenn ich es nicht mehr glauben konnte, haben es andere für mich weitergeglaubt. Wir sind nicht allein und nicht für uns alleine auf dieser Welt. Das zu spüren, ist der Glaube, der mir Orientierung und Sinn gibt.

Du hast in deinem Leben schon an vielen Orten gelebt, Lille (F), Oxford (GB), Wien (A), Berlin(D). Wo fühlst du dich heimisch?
Dorothee: Es gibt für mich einen relevanten Unterschied zwischen „Zu Hause“ und „Heimat“. Meine Herkunftsregion prägte mich und ich fühle mich mit diesen Orten verbunden. Zu Hause bin ich seit jeher dort, wo ich ganz „sein“ kann, wo ich spüre: Da ist etwas Vertrautes. Ich kann auch unterwegs zu Hause sein.

Wenn man beruflich so viel um die Ohren hat, sind die wenigsten Menschen noch besonders kreativ. Woher nimmst du deine Inspiration?
Dorothee: Mein Motor läuft sich auch leer bei der Fülle an Aufgaben und Dichte der Reize, ohne regelmäßige Zeiten der Stille und des Innehaltens, in der Dinge sich klären und neu sortiert werden können. Stille entsteht allerdings nicht einfach – ich muss sie also suchen. Das ist in einer Stadt wie Berlin besonders herausfordernd. Ich brauche die Ruhe am Morgen in meinem Altbauhinterhaus. Auch nach jedem Spaziergang in der Natur bin ich wieder erfrischt, sortiert und inspiriert. Ich beobachte gern Straßenszenen und höre Musik, die mich oft ungemein inspiriert. Und ich schaue mir regelmäßig Arbeiten anderer Künstler an und tausche mich konkret aus.

Dorothee Frauenlob by Rebecca WörnerWelche Pläne hast du in Richtung Schriftstellerei noch?
Dorothee: Es liegt einiges in der Schublade – manches davon wird dort wohl noch eine Weile bleiben, anderes wird gerade herausgeholt. Ich möchte noch nicht zu viel vorwegnehmen – aber von Lyrik über Kurzgeschichten, Hörbuch, Theaterdrama bis Spielfilmdrehbuch sind weitere Projekte in Arbeit. Ich werde mich wohl auch in fünfzig Jahren nicht spezialisiert haben. Vielleicht bekomme ich Kinder und schreibe über Nacht ein Ratgeberbuch einer inspirierten Mutter. Vielleicht bekomme ich keine Kinder und schreibe trotzdem über kleine Monster und große Wunder. Alles ist möglich.

Vielen Dank für das Interview.

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