Ein Interview mit Johannes Krätschell.
Seit Jahren begeistert Johannes Krätschell beim legendären Leseduell mit Autorenkollegen Benjamin Kindervatter und auf den Berliner Lesebühnen das Publikum mit den Geschichten über Hannes und seinen Nachbarn Hupe. Mit „Herr Schlau-Schlau wird erwachsen“ erscheint nun endlich das langerwartete Buch, mit einem fulminanten Cover von Kindervatter. Ein Roman über wahre Freundschaft, Liebe, Abnabelung, Neuorientierung, Nostalgie und Loslassen, voller Wortwitz, Charme und Berlin.
Laura Partikel sprach mit Johannes Krätschell, einen bekennenden Lokalpatrioten aus Berlin-Pankow, über seine eigene Hausbibliothek, was er so von Umzügen hält und wie er zur Gentrifizierung Berlins steht.
Wann wurde dir denn bewusst „Jetzt bin ich erwachsen“?
Johannes: Das kam mehrmals vor. Als ich mit 17 ein Interrail-Ticket in der Hand hatte und durch halb Europa gefahren bin. Als ich die erste Miete für meine erste Wohnung gezahlt habe. Als ich das erste Mal jemanden verlassen habe. Als ich das erste Mal verlassen wurde … Immer wieder habe ich gedacht: „Aber jetzt bist du wirklich erwachsen.“
Und dann kam meine erste Tochter auf die Welt. Da habe ich es bisher zum letzten Mal gedacht und das ist nun bereits 8 Jahre her. Ich denke, ich habe es geschafft. Seit 8 Jahren bin ich erwachsen.
Dein Herr Schlau-Schlau hat 4.000 Bücher in seiner Hausbibliothek. Wie viele stehen bei dir und welche Schätze finden sich dort?
Johannes: Das waren wahrscheinlich mal 1.000. Mittlerweile sind es nur noch etwa 600 Bücher. Etliche habe ich zwischendurch verkauft oder verschenkt. Die kostbarsten sind zwei Gedichtbände von Paul Celan. Sie sind ein Geschenk, das ich im Alter von wenigen Monaten von Reiner Kunze bekommen habe, kurz bevor er die DDR verlassen musste. Darin lag eine Karte von ihm an mich, die heute an meiner Wand hängt.
Herr Schlau-Schlau zieht erst mit 35 gezwungenermaßen aus. Wann war bei dir Schluss mit „Hotel Mama“?
Johannes: Ausgezogen bin ich mit 19, für einen Auslandsaufenthalt, von dem ich fast direkt in meine erste eigne Wohnung in Berlin zurückgezogen bin. Ein Hotel Mama gab es für mich aber nie konkret. Ich hatte zwar alles, was dazugehört: Liebe, Essen, Taschengeld, Bücher, Klavierunterricht und saubere Wäsche. Aber ebenso wurde ich zur Selbständigkeit erzogen, was ja ein Hotel Mama nicht unbedingt impliziert. Ich habe wirklich großes Glück mit meinen Eltern. Sie haben mir alles möglich gemacht, was ich wollte und mich Fehler und Erfahrungen selbst machen lassen.
In deinem Roman wird recht viel umgezogen. Wie stehst du so zu Umzügen?
Johannes: Ich bin oft umgezogen. Ohne natürlich jemals Pankow zu verlassen. Das Schlimmste an allen Umzügen war dabei immer mein Keller: Wenn endlich drei LKW-Ladungen Bücherkisten und alle alten Vollholzmöbel, Waschmaschine und Herd umgezogen waren, dann eröffnete ich zum Schluss noch die Kammer des Schreckens! Dort standen dutzende Möbel, eiserne Weinregale, Bettgestelle und Kisten voll unsortiertem Tand. Sie wanderten von einem Keller in den nächsten. Aber alle Umzugshelfer sind trotzdem noch meine Freunde.
Du hast dich ja bestimmt auch mal revanchiert, oder?
Johannes: Ich hab bei einer Menge Umzüge geholfen oder ganz übernommen. Der Beste: Ein paar meiner Freunde sind vor vielen Jahren nach Westirland gezogen. Ich habe in mehreren Fuhren mit einem 7,5-Tonner Bücher, Möbel, Pflanzen und später Katzen, Hunde und Autos in die Nähe von Galway gebracht. Das waren tagelange Abenteuer. Wir waren plötzlich Trucker, ich trug einen Cowboyhut und wir hörten Country. Wir fühlten uns unglaublich frei.
Gentrifizierung, steigende Mieten und Stadtentwicklung sind auch Themen des Romans. Wie stehst du dazu?
Johannes: Ich habe nichts gegen Stadtentwicklung. Stadtentwicklung heißt für mich Weiterentwicklung, heißt dem Bestehenden etwas Neues hinzuzufügen, so dass Altes und Neues nebeneinander Bestand haben können.
Aber in Berlin erleben wir seit Jahren eine Politik, die ihre Steuerung einer sozialen Stadtentwicklung im besten Falle sehr vernachlässigt hat. Wer in den attraktiven Quartieren vorwiegend Wohnraum für eine zahlungskräftige Bevölkerung schaffen lässt, um höhere Einnahmen aus Lohn- und Grunderwerbssteuer zu generieren, der muss sich den Vorwurf, einer Zwei- oder Mehr-Klassen-Gesellschaft weiteren Vorschub zu leisten, gefallen lassen. Ich bin ein Freund einer heterogenen Gesellschaft, in der verschiedene Lebensmodelle, Einkommensverhältnisse und Bildungsabschlüsse einen Platz haben. In vielen Vierteln des Prenzlauer Bergs kann davon keine Rede mehr sein. Und hier ist dadurch auch die Subkultur verschwunden, die den Stadtteil mal so einzigartig gemacht hat.
In Pankow findet man bis heute im Gegensatz zu anderen Berliner Bezirken Menschen, die noch richtig berlinern, so auch einige der Personen in deinem Buch und du selbst! Wie wurde dir beigebracht, so schnell zwischen Berlinerisch und Hochdeutsch zu switchen?
Johannes: Ich bin einfach Berliner. Es ist der Dialekt meiner Muttersprache, das musste man mir nicht beibringen. In meinem Elternhaus sprachen wir Hochdeutsch, aber auf dem Schulhof Berlinerisch. Obwohl Berliner mit Berlinern in die Schule gingen, waren wir in anderer Hinsicht sehr gemischt. Vom Sohn eines SED-Kaders, über den Sohn der Cheftoilettenfrau vom öffentlichen WC am Alex bis zu mir als Pfarrerskind war alles dabei. Doch eines war bei allen gleich: Wir berlinerten. Zwischen Hochdeutsch und Berlinerisch zu wechseln, ist für mich also wie Fahrradfahren oder im Auto die Gänge schalten.
An welchen Projekten arbeitest du derzeit?
Johannes: Es gibt ein neues Projekt, aber es ist noch zu früh, Details zu verraten. Darüber hinaus stehe ich ja in einem lebenslangen Duell mit Herrn Kindervatter und es wird Zeit, ihn mal wieder herauszufordern.
Wie kam es eigentlich zu diesem legendären Duell zwischen dir und Benjamin Kindervatter?
Johannes: Kindervatter und ich waren früher Kollegen und saßen die meiste Zeit in einem Raum mit fünf anderen Mitarbeitern. Kindervatter ist ein egomanes Alpha-Tier der reinsten Sorte und in dieser Hinsicht mein perfektes Spiegelbild. Jeder von uns wollte in diesem Raum vor den Kollegen der Sympathischste, Gefürchtetste und Begehrteste zugleich sein. Kindervatter erkannte, dass er mich auf diesem Feld nicht schlagen konnte, ging in die innere Emigration und fing irgendwann an, Geschichten zu schreiben, die bei einigen Leuten gut ankamen. Eine Provokation!
Für mich waren das keine Geschichten, sondern leichte Anekdötchen, ohne Tiefgang, mit oberflächlichem Humor. Aber der Erfolg gab Kindervatter recht und ich musste etwas tun. Ich erfand Hupe, schrieb Geschichten und sagte Kindervatter, dass DAS richtige Literatur sei. Unsere Sucht nach öffentlicher Bestätigung trieb uns dann so weit, andere entscheiden zu lassen, wer der bessere Autor, wer der wahre Anführer, wer der bessere Freund oder gar Mann fürs Leben ist. So entstand das Leseduell. Aber auch nach all den Auftritten der letzten Jahre haben wir noch immer keine Klarheit. Doch ich bin sehr optimistisch, dass ich mich eines Tages durchsetzen werde.
Du hast ihn ja gerade erwähnt: Hupe. Was wäre das Erste, das du ihm sagst, wenn er als dein neuer Nachbar eines Tages tatsächlich bei dir klingelt?
Johannes: Da bist du ja endlich. Die Leute fragen andauernd nach dir.
Wir freuen uns, wenn du uns dann davon erzählst. Vielen Dank für das nette Gespräch!
Die Premiere des Romans findet am 21.01.2016 im Periplaneta Literaturcafé zu Berlin statt.
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Herr Schlau-Schlau wird erwachsen
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