Veröffentlicht am Schreib einen Kommentar

Dirk Bernemann bei Periplaneta

Lachen und Weinen dicht beieinander

Es herrschte eine erregte, erwartungsfrohe Stimmung, als die ersten Gäste schon fast eine Stunde vor Beginn der Lesung von Dirk Bernemann zu seinem neuen Buch “Vogelstimmen” eintrafen. Die Vorfreude auf diesen Abend war dem Publikum anzumerken. Schnell füllte sich der kleine Caféraum An der Tür hing bald das Schild: ausverkauft. Die stimmungsvolle Beleuchtung, die liebevoll aneinandergereihten Stühle, das gemütliche Sofa – all das ließ auf einen schönen Abend hoffen.

Als dann alle saßen, mit einem Bier oder Gläschen Wein versorgt, das Licht ausging, begann Dirk Bernemann nicht nur vorzulesen, nein, schauspielerisch untermalte er, was er las. Es war eine Freude, ihm nicht nur zuzuhören, sondern auch zuzuschauen. Er lieferte eine wahre One-Man-Show ab. Er saß da vor seinem Tisch, angestrahlt durch eine kleine Leselampe, gestikulierte mit Händen und Füßen, feinste Gesichtsakrobatik war zu sehen und begleitete das Gesagte aufs Treffendste, die Stimme – mal leise, mal laut, wehklagend, lachend – unterstrich jeweils den Humor oder die Tragik seiner Texte, mit der er dem Alltag abseitige Momente abgewinnt. Seine Texte bilden eine ganze Bandbreite des Lebens ab, in der man sich oftmals wiederfindet, und die aus überraschend ungewohnten Blickwinkeln dargeboten werden.

Weinen und Lachen stehen in seinen Texten dicht nebeneinander, betroffen hat besonders die Passage über eine alzheimerkranke Mutter aus seinem neuen Buch „Vogelstimmen“ gemacht. Der Protagonist besucht in dieser Szene seine an Alzheimer erkrankte Mutter im Pflegeheim. Doch sie erkennt ihn nicht mehr. Auch wenn es ihm schwerfällt, absolviert er pflichtbewusst seine wöchentlichen Besuche,mit äußerlich cooler Gelassenheit, ein wenig Zynismus, den Erinnerungen an eine bessere Vergangenheit und das Wissen um die Hoffnungslosigkeit der Situation ohne Aussicht auf Verbesserung. Diese Geschichte scheint direkt aus dem Leben gegriffen, verstört, ist anrührend und gewinnt der Traurigkeit trotzdem unerwartete witzige Seiten ab, so dass das Publikum befreiend auflachen kann. Dies war einer der Höhepunkte des Abends. Unbedingt nachzulesen bei Dirk Bernemann. Es lohnt sich!

Gelesen wurde auch aus älteren Veröffentlichungen und es gab sogar zwei Kurzgeschichten aus dem noch nicht erschienenen „Ich hab die Unschuld kotzen sehen – Teil 3“. Leise, nachdenkliche Momente wechselten sich ab mit lautem Lachen, Schmunzeln oder Kichern. Das Kichern war wohl dem Altersdurchschnitt geschuldet, denn das sehr junge Publikum ließ an Schulausflüge oder Klassentreffen denken. Die Stimmung war jedenfalls ähnlich ausgelassen.

Soviel Zynismus und Sarkasmus Bernemanns Geschichten auch enthalten, nie zeigt sich Verachtung gegenüber den Helden, die in komische, tragische Situationen geraten, sondern immer ist auch Verständnis und ein Mitleiden mit den sogenannten Verlierern oder Versagern dieser Gesellschaft spürbar. Und die Botschaft scheint trotzdem durch: Mach einfach weiter, manchmal ist das Leben zum Kotzen unerträglich, aber es kann (vielleicht) auch wieder besser werden. Sprachlich nicht gerade zimperlich sind manche Satzkonstruktionen beeindruckend und legen den Finger direkt in wunde Stellen des Lebens.

Der Abend verlief sehr kurzweilig, viel zu schnell ging es in die Pause und dann begann schon der zweite Teil und man wünschte sich, der Abend solle länger dauern, fast ertappte ich mich dabei, nach einer Zugabe zu rufen. Die Begeisterung über das Gehörte spiegelte sich nach der Lesung in der Schlange wider, die sich vor dem Büchertisch von Dirk Bernemann bildete.
Der Abend klang mit weiteren Gläsern Wein und den verschiedenen Leikeim-Biersorten aus, man stand draußen und unterhielt sich noch lange lebhaft in der lauen Berliner Abendluft.

Von Dana Grünzig

Newsletter?

Wähle mindestens eine Liste:

Schreibe einen Kommentar