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Was sucht ein Suahelihaar denn nachts um drei am Kattegatt?!

Eine szenische Lesung über Joachim Ringelnatz im Periplaneta Literaturcafé Berlin mit Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider.

Ringelnatz beklagte einmal: „Meine lange Nase und mein zackiges Profil reizten zur Karikatur. Aber mir scheint, daß die meisten Maler über der Karikatur das Porträt vergaßen.“ Dieses Versäumnis holten Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider beim Ringelnatz-Abend „Ich bin so knallvergnügt erwacht“ im Periplaneta Literaturcafé nach. Mit einer Mischung aus Biographischem, bekannteren und unbekannteren Geschichten und Gedichten und sogar Texten aus seiner Zeit als Werbetexter, zeichneten sie ein subtiles Bild von Joachim Ringelnatz und zeigten, dass man es, wie Erich Kästner über ihn schrieb, nicht mit einer Kabarettnummer sondern mit einem Dichter zu tun hat.

 Joachim Ringelnatz im Periplaneta Literaturcafé Berlin mit Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider.Die szenische Lesung vereint humoristische Texte mit nachdenklichen, die die Zerrissenheit und Getriebenheit Ringelnatz’ andeuten; die ironischen Dinggedichte, die den Alltagsgegenständen ganz in Francis Ponges Sinne Leben einhauchen, haben hier genau so ihren Platz wie Gedanken über Vergänglichkeit. Der Vortrag der beiden freiberuflichen Schauspieler zielt dabei nicht nur auf die Pointen, sondern lässt heraushören, dass der Reiz der Gedichte in der Spannung zwischen ebendiesen überraschenden Wendungen und pfiffigen Reimen mit der leise anklingenden Melancholie und dem nüchternen Pathos liegt.

Spannend war auch, die Texte im Gesamtkontext von Ringelnatz’ Leben zu hören, um in Ansätzen zu verstehen, warum was geschrieben wurde.
So lacht man zwar immer noch über das Meerschweinchen auf der Suche nach dem Meer, die Ameisen mit den müden Beinchen und den armen Sauerampfer zwischen den Bahngleisen, aber man weiß auch, dass es von einem Menschen kommt, der nie wirklich sesshaft war, sein Leben lang von einem Gelegenheitsjob in den nächsten gestolpert ist, viel rumgekommen und mit 50 Jahren völlig verarmt gestorben ist, nachdem ihm in seinen letzten Jahren von den Nazis ein Auftrittsverbot verhängt wurde.

 Joachim Ringelnatz im Periplaneta Literaturcafé Berlin mit Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider.Tina-Nicole Kaiser und Jürgen Wegscheider – der Ringelnatz fast ein wenig ähnlich sieht – sind dabei sehr gut aufeinander eingespielt und bringen die Stimmung der Werke toll rüber. Seit zehn Jahren arbeiten die beiden zusammen und gehen mit ihren szenischen Lesungen deutschlandweit auf Tournee. Dabei bevorzugen sie eher kleinere Veranstaltungsorte, wie das Periplaneta Literaturcafé, weil diese Art von Lesung eine gewisse Intimität braucht, die in großen Hallen nur schwer herzustellen ist, so Tina-Nicole Kaiser. Ringelnatz, weil man bei ihm „um die Ecke denken muss“, sagt Jürgen Wegscheider, und weil er an Aktualität kaum eingebüßt hat, obwohl er seit gut 80 Jahren tot ist. Vielleicht entdeckt der ein oder andere ihn bei dieser Lesung wieder, auf jeden Fall eine sehr empfehlenswerte Veranstaltung, und wenn das nicht die Wahrheit ist, dann ist das wohl gelogen!

Louisa Chandra Esser

 

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