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Die Lust am Schmerz

Interview mit Michael Schweßinger

Am Anfang war da eine Lesung und ein komischer Typ, der jedoch in einem so unverwechselbaren Stil so groteske, komische und zuweilen auch tragische Geschichten vorlas, daß mich mich bei der zweiten Begegnung, nach einem Jahr noch daran erinnerte. Man redet miteinander und so werden immer wieder aus komischen Typen nette Zeitgenossen, in diesem Fall sogar mit scharfen Sinnen, mit Ironie und Wortwitz gesegnet – und mit einer Portion Weltschmerz. Und schon sind wir beim Thema.
Michael Schweßingers Buch “Gedanken an die Dämmerung” hat in der Redaktion dem Männlein und dem Weiblein gleichermaßen gefallen, auch wenn beide nicht unbedingt die Obsessionen der Protagonisten in den zum Teil süffisanten Kurzgeschichten teilen. Das liegt wohl an des Autoren Art, sich nicht im doch heiklen Thema zu versteigen, sondern vordergründig Geschichten zu erzählen, auch wenn sie allesamt für Leute sind, die andere Phantasien haben als …

periplaneta: „Gedanken an die Dämmerung“ beinhaltet einige pikante Geschichten. Wem zeigst du dieses Buch nicht?
Michael Schweßinger: Ich zeige es weiten Teilen meiner Familie nicht, da ich aus einem sehr katholischem Umfeld stamme und weiß, daß einige meiner Geschwister von der Thematik des Sadomasochismus peinlich berührt wären. Sicherlich macht es aber keinen Sinn, in Zeiten von Google die Publikation zu verschweigen. Wer sich damit beschäftigen will, soll es tun, aber gewissermaßen auf eigene Verantwortung.

periplaneta: Was reizt dich gerade am literarischen Umgang mit der Erotik?
Michael Schweßinger: Erotik ist ähnlich wie Tod, Freude und Schmerz eine Grunderfahrung des Lebens. Wir müssen sie wirklich am eigenen Leibe erfahren, um über sie berichten zu können. Es ist kein Wissen, daß sich durch Buchlektüre erwerben und aufbewahren läßt. Wenn wir lieben sind wir immer wieder Anfänger und so gesehen entzieht sich die Erotik der Routine. Es ist jedes Mal aufs Neue ein Wagnis und ähnlich wie bei Schmerz, Tod oder Freude können wir uns nicht vor ihr schützen, wenn sie uns umgarnt. Sie entzieht sich der Kategorisierung und in meinen Geschichten versuche ich mich ihr anzunähern ohne sie durch eine Interpretation zu erdrücken und den Zauber der von ihr abstrahlt zu zerstören. Einfach nur über Sex zu schreiben, würde mich dagegen langweilen.

periplaneta: Was bedeutet für dich Schmerz?
Michael Schweßinger: Ich denke es gibt viele Formen von Schmerz. In vielen meiner frühen Geschichten wie “Herz der Finsternis” oder “Sweet delight”, beschreibe ich oftmals psychischen Schmerz, der aus der Verzweiflung strömt. Die Unfähigkeit dem Dasein einen Sinn abzuringen, führt bei den Akteuren zu dem Verlangen, sich bedingungslos seinen erwählten Göttinnen zu Füßen zu werfen. Diese dominanten Frauen sind in ihrer Allmacht fast schon metaphysische Geschöpfe, die einen religiösen Status einnehmen. Die Dunkelheit und Leere in mir selbst, ist für mich die tiefste und dunkelste Form des Schmerzes. Der körperliche Schmerz hingegen führt einen heraus aus den ätherischen Welten dieser verzweifelten Sinnsuche. Wenn ich Schmerz empfinde, dann spüre ich, daß ich bin, daß ich existiere. Ich spüre, daß ich in diesem Moment zur Welt gehöre. Das mein Körper zu mir gehört. Man könnte sagen, ich empfinde mich im Augenblick des Schmerzes. So gesehen ist der bewußt gewollte körperliche Schmerz etwas vollkommen anderes und man kann ihn nicht mit dem Weltschmerz vergleichen, der einen oftmals grundlos überfällt.

periplaneta: Wo war bisher deine ungewöhnlichste Lesung?
Michael Schweßinger: Es war meine allererste Lesung. Ein Poetry-Slam und ich wusste nicht genau, was mich erwartete. Damals wohnte ich noch in Bamberg und schrieb aus heutiger Sicht sehr destruktive und todestrunkene Lyrik. Das Publikum wollte aber eher Popcorn und wir konnten beide nicht recht was miteinander anfangen und die Besucher haben mich nach der Lesung angesehen wie einen Kranken.

periplaneta: Wie empfindest du den gesellschaftlichen Umgang mit Sex?
Michael Schweßinger: Ich denke, daß Sex bei uns auf der einen Seite eine ungeheure Medienpräsenz hat, auf der anderen Seite die Erfahrung der eigenen Sexualität in Gesprächen immer noch ein Tabuthema ist. Wie werden tagtäglich überhäuft mit unzähligen Bildern, da wir ja so unglaublich tolerant sind. Das muß aber nicht heißen, daß wir deshalb mehr Sex haben. Es ist vielleicht ähnlich wie in der Gothic-Szene, man gibt sich super aufreizend, was aber nicht bedeutet, daß sich hinter jedem lasziven Konstüm auch eine lüsterne Person verbirgt.

periplaneta: Stimmt, oftmals kompensiert das Äußere nur die inneren Schwächen und Ängste und, naja, Sex sellt bekanntlich, auch wenn man selbst das Produkt ist, daß man anbietet.
Michael Schweßinger: Ich glaube, daß diese ständige Präsenz von Sex, sogar kontraproduktiv ist, da sie einem bereits die Bilder aufzwingt wie Sex zu sein hat. Wie muß man aussehen, um attraktiv zu sein. Was muß man anziehen. Wir sind alle auf eine gewisse Weise visuell übersexualisiert, sodaß man gar nicht mehr dazu kommt, seinen eigenen Körper zu entdecken, sondern ständig damit beschäfftigt ist, ihn an die Schönheitsnormen anzupassen. Dabei hat ja Sex nicht unbedingt etwas mit körperlicher Schönheit zu tun. Es ist doch eher eine Frage der Sympathie, mit wem man ins Bett steigt. Diese ganzen Barbiepuppen sind bestimmt nicht der Bringer.

periplaneta: Findest du Deutschland an sich prüde?
Michael Schweßinger: Ja, ich glaube schon, daß Deutschland durch die christlich geprägten Moralvorstellungen dem Wort „prüde“ sehr nahe kommt. Ich bewerte es aber nicht grundsätzlich als negativ. Denn die Überschreitung von Grenzen und der Reiz des Verbotenen, der dieser Prüderie entspringt, bieten erst den Rahmen in dem sich die Erotik entwickeln kann. Gerade im Spiel mit sadomasochistischen Praktiken wird oft auf Symbole, Kleidungsstücke oder Gegenstände zurückgegriffen, die ursprünglich im Christentum beheimatet sind. Das heißt, die Erotik steigert sich gerade dadurch, daß man Elemente benutzt, die sakrosankt und eigentlich unerotisch sind. Das Habit der Nonne, der Altar, die Opferung oder auch große Teile des abendländischen Satanismus entspringen ja der Faszination des Verbotenem, der Überschreitung von gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Insofern glaube ich nicht, daß zum Beispiel im katholischen Süden, der ja für meine Begriffe sehr prüde ist, es eine geringere Faszination für SM gibt, als in anderen Teilen von Deutschland. De Sade schrieb ja auch in einer streng moralischen Epoche.

periplaneta: Und wie ist sonst so dein Bild von … Bayern?
Michael Schweßinger: Bayern ist natürlich ein Sonderfall. In Bamberg mit Lackoutfit durch die Fußgängerzone ist bestimmt kein Spaß, es sei denn, man ist Masochist.

periplaneta: Ist Delomelanicon ein Pseudonym?
Michael Schweßinger: Ja, es ist ein Pseudonym, daß ich für meine ersten Veröffentlichungen von SM-Geschichten in den Schlagzeilen verwendet habe. Es entstammt den Roman Der Club Dumas von Arturo Perez-Reverte, der später als “Die Neun Pforten” verfilmt wurde. Es bezeichnet eigentlich ein Grimmoire, aber ich habe das Pseudonym aus anderen Gründen gewählt. Die deutsche Übersetzung lautet: Ich rufe die Dunkelheit. So gesehen war es eine Art Wahlspruch, bei der Beschäftigung mit den eigenen Abgründen. Ich wollte es ursprünglich nur für “Herz der Finsternis” verwenden, habe es aber dann beibehalten.

periplaneta: Sex und … Magie?
Michael Schweßinger: SM hat für mich sehr viel mit Magie zu tun. Der Ritus der Fesselung. Die Insignien der Macht. Kerzen. Die ganze Atmosphäre ist aufgeladen. Das Ritual ist dabei wichtiger als der Sex.

periplaneta: Wäre es nicht ein schreckliches Szenario, wenn die Gesellschaft auf einmal BDSM vollkommen akzeptieren würde?
Michael Schweßinger: Ja, ich glaube schon, denn gerade der Hauch des Verruchten und Verbotenen macht ja oftmals den Reiz aus.

periplaneta: Wie gehst du mit Kritik zu deinem Buch um, mit Kritik zu deinem Themenschwerpunkt. Ist ja ein persönliches Thema …
Michael Schweßinger: Grundsätzlich habe ich mit Kritik kein Problem. Es ist jedoch meistens schwierig, weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß die Leser sehr oft interpretieren. Da ich oftmals in der ersten Person schreibe, wollen viele nicht wahrhaben, daß es sich bei meinen Geschichten um fiktive Literatur handelt. Ich als Person werde also gleichgesetzt mit den Charakteren meiner Geschichten, was einfach nicht stimmt. Sicherlich tragen meine Geschichten Spuren von mir in sich, aber es macht für mich keinen Sinn, Fragen zu diskutieren, ob die Zigarette in “Ein ungleiches Duell” ein verstecktes Phallussymbol darstellt. Ich interpretiere meine Geschichten grundsätzlich nicht, sondern ich schreibe nur, was mir in den Sinn kommt. Deshalb ist es oftmals schwierig eine gemeinsame Basis für eine Diskussion zu finden. Literatur steht für sich selbst. Sie bildet nicht die Wirklichkeit ab, sondern erschafft eine andere.

periplaneta: Muß man sich als Autor solcher Geschichten persönlichere Fragen gefallen lassen, als beispielsweise SciFi Autoren?
Michael Schweßinger: Ich denke schon. Gerade dadurch, daß ich, wie oben beschrieben, oftmals in der ersten Person schreibe gelingt es sehr vielen nicht, dieses literarische Ich von meiner Person zu abstrahieren. Wer so etwas Perverses schreibt, muß auch bis ins Herz pervers sein, sozusagen. Aber auch Mankel bringt keine Menschen um und schreibt dennoch über Morde.

periplaneta: Und um gleich persönlich zu werden: Inwieweit teilst du jenes „Sweet Delight“mit deinen Protagonisten?
Michael Schweßinger: Ich teile es insoweit, da ich glaube, daß man mit seinen literarischen Figuren mitleiden muß, wenn man sie glaubhaft erschaffen will. Es ist ähnlich wie bei guten Schauspielern, die auch ihre Charaktere mit Leben erfüllen müssen. Sie müssen diese Personen sein, die sie darstellen und sie nicht nur spielen. Ebenso versuche ich mich in Situation meiner Akteure zu versetzen. Versuche ihre Einsamkeit, ihre Sehnsüchte, ihre Begierden mitzuerleben.

periplaneta: Wohin soll oder wird uns Menschen unsere Obsession treiben?
Michael Schweßinger: Keine Ahnung, aber letzten Endes immer ins Grab.

periplaneta: Wohin führt uns die sexuelle Befreiuung und die immer früher praktizierten, immer komplizierteren Turnübungen und Fesselspiele?
Michael Schweßinger: Vielleicht zum anderen Extrem. Wenn alles erlaubt ist, steigt die Orientierungslosogkeit und der Mensch sehnt sich wieder nach Gefangenschaft und sei es nur in der Moral.

periplaneta: Bilden also Venushügel das Jammertal oder den Jubelhain?
Michael Schweßinger: Wohl beides. Wer nach Lust begehrt, muß sich auch auf den Ver-lust einlassen.

periplaneta: Haben Literaten einen schärferen Blick für die Welt?
Michael Schweßinger: Ich glaube nicht schärfer, sondern einen anderen Blickwinkel. Vielleicht eine gewisse Distanz zur Welt. Ernst Jünger hat einmal gesagt „Die Einsamkeit ist nicht der Fluch des Schreibers, sondern sein Kapital.“

periplaneta: Danke für das Interview.

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