Die Wahrheit über den Stammbaum
Die Welt ist voller Rassisten. Vor allem Hundebesitzer postulieren ihre Gesinnung gerne und unverblümt offen: Da gibt es einerseits die überzeugten „Rassehund“-Besitzer und andererseits die „Promenadenmischung“-Fans.
Rassehunde sind edle Züchtungen. Promenadenmischungen werden dagegen bevorzugt beim Gassigehen auf dem Bürgersteig gezeugt, ohne dass sich die paarungswilligen Vierbeiner vorher über Stammbäume oder die optischen Folgen Gedanken machen. Auch meine Eltern hatten eine solche „Rennsalami“, die das Beste vieler Rassen in sich vereinte und ein geradezu biblisches Alter von 20 Jahren erreichte.
Aber eigentlich müsste an der Stammbaumwurzel einer jeden echten Rasse eine Kreuzung von unterschiedlichen Hundetypen stehen… Ab wann ist eigentlich eine Promenadenmischung keine Promenadenmischung mehr, sondern eine anerkannte Züchtung?
Meine Eltern als „Ottonormalverbraucher“ hätten unseren lieb gewonnenen Familienhund jedenfalls nicht einfach als neue Rasse definieren dürfen. Dazu sind nur anerkannte Zuchtvereine berechtigt. Allerdings basiert die Zulassung einer neuen Rasse weder auf bestimmten Normen noch auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es genügt, wenn bestimmte Merkmale und Eigenschaften gehäuft bei einer bestimmten Gruppe von Tieren auftreten. Naturgemäß gibt es da also einen enormen subjektiven Spielraum.
Die GEWOLLTE Vermischung oder Kreuzung zweier reinrassiger Hunde bringt laut Zuchtverband keinesfalls eine Promenadenmischung ans Licht der Welt. Die richtige Bezeichnung für den Welpen ist in diesem Falle „Hybrid“. Das wiederum klingt nun so gar nicht mehr nach Tier. Sondern eher nach Autos….
Laut Schätzungen gibt es etwa 800 Hunderassen weltweit. Die älteste davon ist die Tibet Dogge. Allerdings kursieren auch noch andere Theorien, nach denen es nur der Spitz sein kann.
Fest steht aber, dass der Vierbeiner vor ca. 12.000 Jahren zum ständigen Begleiter des Menschen wurde. Damit wurden sie lange vor allen anderen Haustierarten domestiziert. Aus den Wölfen, die sich am besten an die menschliche Gesellschaft anpassten, wurden weitere Generationen gezüchtet. Verhalten, Körpergröße und Fellfarbe veränderten sich. Auch der Kiefer ist jetzt verkürzt, die Zähne kleiner. Und es kommt noch schlimmer: Der Haushund wurde zunehmend dümmer, denn auch sein Gehirn schrumpfte und sein Schädelvolumen verringerte sich.
Die Urväter der Haushunde waren echte Arbeitstiere: Hüte-, Jagd- oder Wachhunde. Je weiter sich der Menschheit zivilisierte, desto mehr rückten ästhetische Merkmale in den Vordergrund. Die privilegierte Oberschicht entdeckte den „besonderen“ Hund als Prestigeobjekt für sich. Die Züchtung neuer und exklusiver Rassen wurde so vorangetrieben. Diese mussten nun Stammbäume und Zuchtbücher aufweisen, genauso wie ihre meist adeligen Besitzer.
Vor diesem Hintergrund ist es auch verständlich, warum „Rennsalamis“ und andere Promenadenmischungen so langlebig sind und als robust gelten. Denn sie sind weder von Erbgutschäden durch Inzest betroffen, noch haben sie unter den Merkmalen zu leiden, die bei ihren reinrassigen Artgenossen so beharrlich vergrößert, verkleinert oder weggezüchtet wurden.
Der klassische Boxer hat beispielsweise zeitlebens arge Probleme durch die Nase zu atmen oder der chinesische Faltenhund, der durch seine Ausbeulungen stark an ein Michelinmännchen erinnert, hat sehr oft Augen- und Hautprobleme.
Dabei können auch Hunde ganz ohne Stammbaum und ebenmäßigem Wuchs eine große Anhängerschaft gewinnen. In den USA treibt diese Begeisterung ausgesprochen kuriose Blüten. Hier wird jährlich in Los Angeles der „hässlichste Hund der Welt“ gekürt und dessen Herrchen winkt immerhin das stattliche Preisgeld von 1.000 Dollar.
Einer der Gewinner hat anschließend laut Spiegel Online sogar einen Werbevertrag bekommen – wenn auch zu einem eher fragwürdigem Zweck: „Sie ist das Vorzeigekind, wenn wir für Kastration werben wollen“, sagte Tierärztin Karen Halligan.
Interessant ist, dass sehr viele Teilnehmer dieses Wettbewerbs aus missglückten Züchtungsversuch enstammen. Der Vorjahressieger mit dem klangvollen Namen „Papst“ ist immerhin ein reinrassiger Boxer…
Weil also Reinrassigkeit kein Garant für nichts ist, möchte ich an dieser Stelle alle Promenadenmischungen dieser Welt hochleben lassen…. Seien sie nun tierischer, menschlicher oder audiophiler Herkunft, wie bei Frauke Baldrich Brümmer, die bissige Bühnentexte auf CD gebannt hat.
Denn Schönheit liegt schließlich im Auge des Betrachters.
Judith Friede
Gewidmet Vicky, dem unbegreiflichen Lieblingshund meiner Mutter!