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Die Zeit und der freie Wille

Martin Riemer - periplaneta

Ein Interview mit Martin Riemer.

Einmal mehr haben wir uns an ein sehr außergewöhnliches Projekt gewagt und einmal mehr sind alle Beteiligten sehr glücklich damit – und nicht zuletzt auch wieder ein bisschen schlauer. Neurowissenschaftler und Autor Martin Riemer redet über seinen Schreibprozess, die knifflige Frage nach einem freien Willen und dem Einfluss seiner Forschungen auf sein Romandebüt “Post Mortem”.

Hallo Martin, in „Post Mortem“ lässt du die Toten auferstehen, um sich zusammen mit den Lebenden mit großen philosophischen Fragen auseinanderzusetzen. Wenn du eine historische Persönlichkeit deiner Wahl zurückbringen könntest, um mit ihm/ihr/* zu sprechen: Für wen würdest du dich entscheiden, und wie, glaubst du, würde die betreffende Person auf unsere Zeit reagieren?

Simone de Beauvoir
Simone de Beauvoir by Moshe Milner (licence: CC BY-SA 3.0 )

Martin: Das wäre wohl tatsächlich Simone de Beauvoir. Sie ist eins meiner ganz großen Vorbilder, hauptsächlich wegen ihrer Integrität und ihrer kompromisslosen Aufrichtigkeit. Auch sich selbst gegenüber. Ich glaube, es gibt nicht viele Menschen, die so unvoreingenommen Stellung zu gesellschaftlichen Problemen bezogen haben. Simone de Beauvoir hat ihre Rolle als einflussreiche Persönlichkeit sehr ernst genommen.

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie sie über unsere heutige Gesellschaft denken würde, zum Beispiel über die Emanzipation der Frau und die wirtschaftliche Globalisierung. Ich glaube nicht, dass sie sehr angetan von der heutigen Welt wäre.

Einer deiner Protagonisten, Max, erzählt von seiner Theorie, dass von Schizophrenie Betroffene in mancher Hinsicht eine realistischere Wahrnehmung der Zusammenhänge von Entscheidungen und Handlungen haben als „gesunde“ Menschen. Über dieses Thema hast du auch einmal einen Artikel verfasst. Konntest du auch an anderen Stellen Wissen aus deinen Forschungen einfließen lassen?

Martin: Ja. Besonders in Bezug auf die Wahrnehmung von Zeit, die ja ein Hauptthema meiner Forschung ist. Es gibt verschiedene Theorien darüber, wie der Mensch die Zeit wahrnimmt. Eine Frage ist zum Beispiel, ob wir einen streng kontinuierlichen Zeitstrom wahrnehmen, oder ob unser Bewusstsein die Zeit in eine Abfolge diskreter Zustände untergliedert. Mit dieser letzten Möglichkeit beschäftigt sich Max’ Bruder, wenn er auf ziemlich absurde Weise berechnet, wie viel „Zeit“ seine Tage umfassen.

Die Frage, ob es einen freien Willen gibt, ist eines der großen Themen des Buches. Was, denkst du, ist die plausibelste oder interessanteste Antwort darauf?

Arthur Schopenhauer by J. Schäfer 1859
Arthur Schopenhauer by J. Schäfer 1859

Martin: Die plausibelste ist „Nein“. Die interessanteste „Ja“.

Ich glaube, man kann die Frage nicht richtig beantworten, ohne sie erst sehr genau zu definieren. Meiner Meinung nach ist es so, wie Arthur es am Ende des Romans sagt: Die Antwort ist schon enthalten in der Perspektive, aus der man die Frage stellt. Geht man von einem materialistischen Weltbild aus, wie Naturwissenschaftler das in der Regel tun, dann muss die Antwort „Nein“ lauten. Aber dieses materialistische Weltbild ist eine Vorannahme, sie war nie und kann nie selbst Objekt naturwissenschaftlicher Forschung sein.

Dein Roman lässt seine Leser mit so einigen offenen Fragen zurück. Worüber hoffst du, dass sie noch nach einer Weile nachdenken?

Martin: Zum Beispiel, ob und was man selbst unternimmt – bewusst oder unbewusst –, um eine Art von Unsterblichkeit zu erreichen. Ob einem das überhaupt etwas bedeutet? Und wenn ja, warum eigentlich? Ich glaube, das sind ganz gute Fragen.

Wann und wo ist dir die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?

Martin: Das war bei einem Freund in Regensburg. Der hat mir von der Walhalla erzählt, und dass dort eine Büste von Heinrich Heine aufgestellt wurde, obwohl Heine sich zu seinen Lebzeiten mehrfach ausdrücklich dagegen verwahrt hat. Ich habe mir dann überlegt, was er wohl empfinden würde, wenn er plötzlich zurückkehren würde. Und von ihm bin ich dann auf andere Persönlichkeiten gekommen.

Hattest du die Handlung von Anfang an geplant oder hast du dich eher überraschen lassen, wo sich die Geschichte hinbewegt?

Martin: Eine Grundidee für die Handlung gab es schon, aber Einzelheiten haben sich während dem Schreiben oft geändert. Besonders, weil die Charakterzüge der erfundenen Personen erst beim Schreiben feste Züge angenommen haben. Manchmal waren die ganz anders als ich anfangs gedacht hatte.

Ist schon ein weiteres Buch geplant? Gibt es ein Thema, eine Figur oder ein Genre, das dich besonders reizt?

Martin: Im Moment ist das Science Fiction. Ich finde die Idee sehr spannend, verschiedene Möglichkeiten von Bewusstsein zu beschreiben. Wie es entsteht. Wie es verschwindet. Und was es danach gibt.

Vielen Dank für das Interview!

Swantje Niemann

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