Eine Kurzstudie
Wenn so manches nordeuropäische Land jene Geschöpfe zum unentbehrlichen Kulturgut zählt, Souvenir-Shops bis zum Bersten gefüllt sind mit Troll-Merchandise, wenn auf Verkehrszeichen vor ihnen gewarnt wird, wenn sich Skandinavier detailreiche Miniaturen in den Vorgarten stellen, Schriftsteller die eine oder andere spannende Geschichte von ihnen zu erzählen wissen und wenn ihnen zudem noch ein eigener Wikipedia-Eintrag gewidmet ist, dann muss an all dem Gerede doch was dran sein!
Die Figur des Trolls, auch Trold oder Tröll (nord. für Unhold, Riese, Zauberwesen) geht auf die nordische Mythologie zurück. Er ist als männliches Gegenstück zur Fee, Elfe oder Hexe ein oft Schaden bringendes Geisterwesen in Riesen- oder Zwergengestalt.
Die Trolle haben seit ihrer „Geburt“, die anscheinend im alten Skandinavien stattgefunden hat, eine bemerkenswerte Kariere gemacht. Bis heute ist ihre Wirkung und Faszination auf Jung und Alt ungebrochen.
Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“, Tolkiens „Der Herr der Ringe“ und Christian von Asters “Troll!” sind drei bekannte Verarbeitungen des Trollmythos in der Literatur. Auch in der Kunst, im Film und in Computerspielen haben die Trolle einen Platz gefunden. Ihr Auftreten und die damit verbundenen Charakter(T)Rollen sind sehr unterschiedlich. Das Resultat ist ein bemerkenswertes Sammelsurium aus Mythen, Sagen und Märchen, die ihren Weg in fast alle Kinderzimmer geschafft haben – aber auch Erwachsene mögen Trolle.
Das gezeichnete Bild der bösen Ungetüme ist dabei alles andere als einheitlich. Einziges wirklich verlässliches Erkennungsmerkmal ist eine überdimensional große, meist wulstige Nase und eine zottige Behaarung. Und ach ja, sie sind nur in den Wäldern anzutreffen, als deren Beschützer sie sich verstehen. Daher können sie auch auf Menschen gut und gerne verzichten. Genauso wie auf die Sonne, deren Lichtstrahlen – gelangen sie einmal auf ihre haarige Haut – ihnen den sofortigen Tod bringen. Alles was dann noch von ihnen übrig bleibt, ist ein trollförmiger Stein. Sie gehören somit zu den Nachtaktiven (wie man gut verstehen kann). Alt werden sie auch, sehr alt, steinalt. Mehrere hundert oder tausend Jahre sind keine Seltenheit.
Ansonsten wird recht Widersprüchliches über sie berichtet: Trolle können riesengroß oder zwergenklein sein, intelligent oder strohdumm, fressen Tiere und Pflanzen oder bevorzugt Steine und anderes Geröll und sind den Menschen oft böse, hin und wieder jedoch auch gut gesinnt.
Man wüsste also zunächst einmal nicht genau, was für ein Exemplar man vor sich stehen hätte – wenn man denn mal eins vor sich stehen hätte. Eigentlich sind sie genauso verschieden wie die Menschen und ihnen damit verblüffend ähnlich.
Die wandelbare und im Kern so menschliche Figur des Trolles scheint eine ideale Projektionsfläche für moralische Streitfragen zu sein und ist damit ganz zu Recht zu einem Klassiker in der Mythen- und Märchenwelt aufgestiegen.
Eigentlich sind wir doch alle Trolle.
Damit wir bereit sind, uns mit unseren guten und weniger guten Eigenarten auseinanderzusetzen, lassen sich Künstler immer wieder gerne etwas Geschicktes einfallen. Deswegen finden wir uns in einigen Büchern, Bildern und Filmen in einem verfilzten Fellkostüm und mit dicker, aufgesetzter Nase wieder. Wir werden uns selbst ein wenig fremd gemacht, um uns dann am Ende umso mehr in jenen, scheinbar aus einer anderen Welt stammenden Geschöpfen wiederzuerkennen.
Ein wirklich alter Trick, aber er scheint immer noch zu funktionieren.
Von Lisa Weinsheimer