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Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst

Bella Bender - periplaneta

Ein Interview mit Bella Bender.

Im Sommerprogramm 2019 ist der Kurzgeschichtenband „Die artgerechte Haltung von Gedanken“ von Bella Bender bei Periplaneta erschienen. Laura Alt hat mit ihr über Freiheit, Beziehungen und die Ellbogengesellschaft gesprochen.

Du studierst aktuell in Heidelberg und beschäftigst Dich in Deinen Geschichten mit dem Thema Freiheit. Das Studium an sich galt früher als Zeit, die besonders frei und individuell ausgestaltet werden kann. Nach der Umstellung auf das Bachelor-Master-System gab es Kritik, dass darin keine Zeit mehr für freie Entfaltung bleibe. Wie empfindest Du das?

Bella Bender: Ich empfinde diese Kritik als absolut berechtigt. Niemals würde ich bereuen, mich für die Germanistik entschieden zu haben, da ich das Fach sehr mag. Aber das Hochschulsystem, wie wir es haben, bringt einen dazu, nach ein paar Semestern nur noch in Credit Points zu denken und das ist schade. Ich würde mir wünschen, dass das Studium weniger verschult ist. Außerdem ist Studieren sehr teuer geworden. Für viele bedeutet das, Job und Studium unter einen Hut bekommen zu müssen. Wie entspannt das nun ist? Vermutlich muss man in jeder Lebensphase um seine persönlichen Freiheiten kämpfen.

Bella Bender
Bella Bender

Beim Lesen Deiner Kurzgeschichten blitzt immer wieder die Frage auf, ob es einen richtigen Lebensweg gibt und ob dieser linear sein kann. Auch Du hast einmal Dein Studienfach gewechselt. Ist Selbstreflexion ohne Brüche möglich?

Bella Bender: Ich glaube nicht. Menschen verändern sich so sehr, dass ich die Vorstellung vom linearen Lebensweg für eine Illusion halte. Die Frage ist doch eher, wie wir diesen linearen Lebensweg definieren. Bedeutet das, einen lückenlosen Lebenslauf zu haben? Den haben manche Menschen ja durchaus, aber dennoch wird es auch in deren Leben Brüche und Veränderungen geben.

In „Gestalten am Denkmal“ erzählst Du die Geschichte einer jungen Frau, die von der süddeutschen Provinz in die Großstadt Berlin zieht. Wo kann man ein freieres Leben führen – auf dem Land oder in der Stadt?

Bella Bender: Schwer zu sagen. Freiheit entsteht letztendlich im Kopf und auch im Zwischenmenschlichen. Die Städte bieten Anonymität, aber auf der anderen Seite ist da der Konkurrenzkampf wegen steigender Lebenshaltungskosten zu kompensieren, um die bessere Wohnung, den aufregendsten Lifestyle … Vielleicht kann ein Leben auf dem Land ruhiger sein, aber das enge soziale Geflecht der Dorfgemeinschaft, wie es die Protagonistin erlebt, schreckt mich ziemlich ab. Egal, wo ich lebe, ich brauche meine Privatsphäre, da ich oft eher introvertiert bin. Meine Privatsphäre hätte ich aber nicht, wenn jeder jeden kennt, man jeden Tag mit seinen Nachbarn plaudern muss und alles, was man macht, sofort Gegenstand von Klatsch und Tratsch ist.

Die Vorstellung absoluter Sicherheit wird heutzutage auch als politisches Versprechen hochgehalten und als Legitimation genutzt. Wieso sehnen sich viele Menschen danach – haben sie Angst vor der Freiheit?

Bella Bender: Diesen Aspekt finde ich sehr gefährlich. Mit diesem Argument könnte man letztendlich die totale Überwachung der Menschen rechtfertigen oder die absolute Kontrolle über sämtliche zwischenmenschliche Interaktion. Zu meinem Bedauern muss ich gestehen, dass ich das Bedürfnis, den Menschen vor sich selbst zu beschützen, nachvollziehen kann. Sieht man sich einmal um auf der Welt, könnte man sich schon fragen, was die Menschheit überhaupt richtig macht: Man denke nur an das, was der Kapitalismus auf der Welt anrichtet, was mit der Umwelt passiert und an die allgegenwärtige Gewalt. Aber dieses Sicherheitsversprechen würde letztendlich nur die absolute Kontrolle bedeuten, vollkommene Sicherheit existiert nicht. Da ist es besser, den Menschen ihre Freiheit zu lassen, auch wenn sie Fehler machen.

Bell Bender liest aus ihrem Kurzgeschichtenband „Tinte in Wasser“

Was ist Mut für Dich?

Bella Bender: Für mich bedeutet Mut nicht die Abwesenheit von Angst. Ich glaube, Angst zuzulassen, ist ein großer Schritt für die meisten Menschen. Mutig sind für mich jene, die bewusst an ihren Ängsten arbeiten und sich nicht von ihnen beherrschen lassen.

Üben die gesellschaftlichen Anforderungen an uns mehr Druck aus oder unser Wille, diesen Folge zu leisten?

Bella Bender: Das ist ein schwieriges Thema. Die Leistungsgesellschaft macht die Menschen kaputt. Es ist kein Zufall, dass psychische Erkrankungen seit Jahren rapide ansteigen. Ich bin froh, dass das Thema zunehmend entstigmatisiert wird: In der Öffentlichkeit spricht man darüber, bietet mehr Hilfe für Betroffene an. Aber dennoch ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn sich die Arbeitswelt nicht verändert. Im Grunde beginnt es schon in der Schulzeit, dann geht es weiter in der Ausbildung: Letztendlich dreht sich alles nur darum, wie man möglichst produktive Menschen aus uns machen kann, möglichst leistungsfähige Menschen. Andere Eigenschaften, wie die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und auf sich selbst zu achten, verkümmern dagegen. Da kann man sich noch so viel in Achtsamkeit üben, zu viel Belastung und der steigende Konkurrenzkampf machen krank. Und in dieser Hinsicht sehe ich bisher wenig Bereitschaft für Veränderung.

Einige deiner Protagonistinnen sind abhängig von Personen, die sie nicht loslassen. Sie versuchen, sich von ihnen zu emanzipieren, suchen aber auch deren Nähe. Schränken Beziehungen zu anderen Menschen uns ein?

Bella Bender: Alleinsein bedeutet nicht Unabhängigkeit, ebenso wenig, wie das Zusammensein mit Anderen Sicherheit bedeutet. Ich denke, wenn Menschen sich in Abhängigkeiten begeben, suchen sie Sicherheit, aber letztendlich üben sie nur Kontrolle aus oder werden kontrolliert. Kontrolle hat aber meiner Ansicht nach nichts mit wirklicher Zuneigung oder gar Liebe zu tun. Ich bin überzeugt, dass jemand, der wirklich liebt, auch Freiraum gewähren kann. Deswegen sehe ich es auch sehr kritisch, wenn in „romantischen“ Geschichten Stalking oder Eifersucht als Form der Leidenschaft verherrlicht wird. Eifersucht und Misstrauen sind menschliche Emotionen und sicher verzeihlich, aber sie als Form der Zuneigung zu interpretieren, finde ich sehr gefährlich, da das in toxischen Beziehungen enden kann, wie ich sie auch in meinem Buch porträtiert habe.

„Die artgerechte Haltung von Gedanken“ ziert ein Cover von Julia Klaiber. Darauf zu sehen ist eine Frau mit zwei Gesichtern beziehungsweise einer Maske. Was bedeutet dieses Bild für Dich?

Bella Bender: Mir gefällt die Mehrdeutigkeit des Covers. Es könnte die Zerrissenheit der menschlichen Identität zwischen Freiheit und Sicherheit bedeuten oder aber auf der einen Seite das Gesicht, das wir der Welt zeigen und die Ansicht, die wir nur mit sehr wenigen Menschen teilen. Ich finde, Julia ist eine großartige Künstlerin, sie hat auch verstanden, worum es mir bei „Die Artgerechte Haltung von Gedanken“ ging.

Bella Bender liest aus „Die artgerechte Haltung von Gedanken“ im Periplaneta Literaturcafé

Hast Du schon ein neues Buch geplant? Was dürfen wir in Zukunft von Dir als Autorin erwarten?

Bella Bender: Ich arbeite meistens parallel an mehreren Projekten, da weiß ich selbst nie, was zuerst vollendet ist. Vielleicht ist es aber auch gar nicht so schlecht, dass ich das nicht zu 100% selbst in der Hand habe. Mit Sicherheit kann ich sagen, dass ich immer schreiben möchte und werde, weil das schon immer mein Weg gewesen ist, mich mit mir und der Welt auseinanderzusetzen. Ich möchte weiterhin über das Zwischenmenschliche und über die Abgründigkeit der Psyche schreiben, da das eine unendliche Faszination ist. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich mit der Zeit auch politischer werde, da gerade in den letzten Jahren viele Entwicklungen stattgefunden haben, mit denen ich wirklich überhaupt nicht einverstanden bin.

www.bellabender.de

Vielen Dank für das Interview.

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