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Charlotte Fritsch „Zwischen mir und mir“

Ein Interview über zerbrechliche Selbstbilder.

Das Buch „Zwischen mir und mir – Sommerferien in der Psychiatrie“ behandelt das heikle Thema Jugendpsychiatrie. Charlotte Fritsch bedient keine Klischees und diffusen Ängste, die sich schnell einstellen können, wenn „Kopfkrankheiten“ wie Depression und Magersucht diskutiert werden. Ihre Geschichte von der sechzehnjährigen Christin vermittelt stattdessen sehr direkt die Gefühlswelt einer scheinbar manisch-depressiven Jugendlichen.

In „Zwischen mir und mir” wird der Leser mit der Gedanken- und Erfahrungswelt einer Sechzehnjährigen konfrontiert, die eine extreme Erfahrung durchmacht und daran wächst. Hast du einen klassischen Coming-of-Age-Roman geschrieben?

Charlotte FritschCF: Nachdem ich gegoogelt habe, was man eigentlich genau unter einem Coming-of-Age-Roman versteht, würde ich sagen, dass ich wohl unbewusst einen Roman geschrieben habe, der gut in diese Sparte passt. Es geht in „Zwischen mir und mir“ um Jugendliche, die auf der Suche nach einer Identität, nach einem Platz im Leben und der für sie passenden Rolle sind. Sie sind mit den vielen Entscheidungen und plötzlichen Veränderungen überfordert und versuchen alle auf ihre Art der Wirklichkeit zu entkommen. Die Protagonistin Christin ist an einem Punkt, an dem sie allein nicht mehr weiterkommt. Sie ist gezwungen, sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen, wobei ihr Selbstbild immer mehr ins Wanken gerät und sie es letztendlich doch schafft, sich selbst langsam wieder näher zu kommen.

In deinem Buch gehst du auch der Frage nach, inwiefern die Diagnose eines Arztes das Selbstbild eines Patienten beeinflusst. Christin reflektiert ihr Handeln immer genau nach den „Vorgaben“ ihres Krankheitsbildes, das ihr durch Arztgespräche und Literatur bekannt ist: Gute Laune wird so zur Manie, schlechte Laune mutiert zu einer depressiven Phase. Dieses manipulierte Selbstbild wird wiederum von den Ärzten als Bestätigung für ihre Diagnose aufgefasst. Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?

CF: Zuerst sollte man sich bewusst machen, dass die Diagnose einer psychischen Erkrankung nur eine Möglichkeit von vielen ist, um das ungewöhnliche Verhalten, Denken und Fühlen eines Menschen zu erklären. Diese Diagnosen beruhen auf Beobachtungen von Symptomen, die durch die Sicht des Beobachters beeinflusst werden – will man in einer Verhaltensweise ein Symptom sehen, dann sieht man es auch. Wenn man als Kind oder Jugendlicher von anderen immer wieder klar gemacht bekommt, dass man krank ist, dann fängt man irgendwann auch an, das zu glauben. Meiner Meinung nach entsteht die „Krankheit“ dadurch erst. Um den Teufelskreis zu verlassen, sollte man aufhören, sich selbst in eine bestimmte Kategorie einzuordnen. Überspitzt gesagt heißt das, man sollte es lassen, in Publikationen über psychische Erkrankungen nachzulesen, wie man sich zu verhalten hat, um einem bestimmten „Krankheitsbild“ zu entsprechen, und stattdessen anfangen, an sich selbst, die eigene Individualität und die eigenen Stärken und Träume zu glauben.

Du hast sowohl selbst Psychiatrie-Erfahrung als auch einen wissenschaftlichen Hintergrund – du studierst Sonderpädagogik. Inwiefern fließt dieser doch sehr ungewöhnliche Erfahrungshorizont, der dir mehrere Zugänge zum Themenkomplex „Geisteskrankheit“ ermöglicht, in dein Buch mit ein?

CF: Da ich als Jugendliche selbst einen kurzen Abstecher in eine Psychiatrie gemacht habe, weil ein Arzt die Pubertät mit einer psychischen Erkrankung verwechselt hat, war es mir möglich, eine solche Einrichtung aus der Sicht eines jugendlichen Patienten zu beschreiben. Aufgrund einer Fehldiagnose konnte ich also sozusagen undercover Beobachtungen machen, durch die ich eine authentische Geschichte schreiben konnte. Dadurch, dass ich bereits seit vier Jahren regelmäßig mit Kindern und Jugendlichen arbeite, habe ich eben auch die andere Seite kennengelernt: die, der Bezugsperson – wobei meine Erfahrungen in dieser Hinsicht in die Figur der Therapeutin Frau Kolb mit eingeflossen sind. Mein Förderpädagogikstudium wiederum brachte mein Denken in Bezug auf Sinn und Unsinn von Diagnosen in Gang und ließ mich erkennen, dass diese nicht die absolute Wahrheit sind, was in meinem Buch natürlich auch mitschwingt.

Die Geschichte basiert also auch auf Selbsterlebtem. Fiel es dir schwer, persönliche Erfahrungen literarisch zu verarbeiten?

CF: Ganz im Gegenteil. Dadurch, dass man reale Erlebnisse nutzt, um daraus eine fiktive Geschichte zu konstruieren, gewinnt man Abstand zum Geschehenen. Die Geschichte verselbstständigt sich beim Schreiben, es entstehen neue Orte, neue Gespräche und Situationen; eigene Figuren, deren Handeln und Denken man beeinflussen kann, die im Kontext der Geschichte ihre eigenen Erfahrungen machen und Erkenntnisse gewinnen können, die man sich selbst erst jahrelang erarbeiten musste.

In deinem Buch wird die Jugendpsychiatrie oft mit einem Knast verglichen. Dabei werden gängige Klischees eines „Irrenhauses“ gar nicht erfüllt: Niemand wird in Zwangsjacken gesteckt, niemand fixiert, eine Gummizelle entpuppt sich als Ergotherapie-Raum, Medikamente werden sehr sparsam oder überhaupt nicht eingesetzt, stattdessen gibt es sehr viele Gesprächsrunden. Also doch eher Ferienlager für Problemkinder statt Knast für Kranke; oder lässt sich die subjektive Wahrnehmung der Insassen auch für Außenstehende plausibilisieren?

CF: Jede Einrichtung ist hier natürlich anders. Die Station, die in „Zwischen mir und mir“ beschrieben wird, hat von beiden etwas. Die Vergleiche zum Knast entstehen bei den Patienten in der Geschichte vor allem durch die vielen Einschränkungen, mit denen ihr Aufenthalt verbunden ist. Ständige Kontrolle, ein weggeschlossenes Handy, nur eine Stunde Ausgang am Tag unter Begleitung Erwachsener und die Tatsache, dass die Patienten auf der Station eingeschlossen werden, sind nicht gerade das, was sich ein Jugendlicher unter Freiheit vorstellt.

Was auffällig ist: Alle Personen in deinem Buch sind ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, es scheint keine Außenwelt zu geben, in der man sich engagiert, für die man sich interessiert oder die auch nur bemerkt wird, alles wird ausschließlich auf die eigene Bedürfnisbefriedigung reduziert, was von Außen kommt (Filme, Musik, etc.) wird konsumiert, aber niemals reflektiert. Ein Sittengemälde deiner Generation oder doch eher Kennzeichen einer psychischen Ausnahmesituation?

CF: Das kann man nicht pauschalisieren. Die Figuren im Buch haben alle ihre Probleme, die sehr viel Platz einnehmen und auf die ich beim Schreiben den Fokus gerichtet habe. In einer Psychiatrie ist man eine Zeit lang von der Außenwelt abgeschottet, was nicht heißt, dass es diese nicht gibt; sie spielt im Kontext des Buches einfach nur keine große Rolle und wird deshalb nicht weiter thematisiert.

Wen siehst du als Zielgruppe für dein Buch?

CF: „Zwischen mir und mir“ richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Psychiatrieerfahrung. Es ist aber auch für die, die im sozialen, pädagogischen oder psychologischen Bereich studieren oder arbeiten von Interesse.

Du bist journalistisch und schriftstellerisch sehr aktiv. Wie sehen deine weiteren Pläne aus? Ist von dir ein neuer Roman erwarten?

CF: Momentan konzentriere ich mich eher auf das Schreiben von Kurzgeschichten. Ich habe aber auch schon ein paar Ideen für eine eventuelle Fortsetzung von „Zwischen mir und mir“.

Vielen Dank für das Interview.

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