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„Abwasch!“ mit Hausmann Klaus Wührl

Am Spühltisch der Bayreuther Kabarett-Szene.

Ich verehre Hagen Rether, Georg Schramm, Urban Priol, Volker Pispers und Dieter Hildebrandt. Weil sie unbequeme Ansichten und keine Angst vor einem satten, zufriedenen Publikum haben. Ich stell(t)e mir während ihrer Darbietung immer vor, wie Horden von Anwälten vor dem Fernseher sitzen und ihnen der Angstschweiß von jener Stirn perlt, den ihre Schäfchen den bösen Widersachern zu bieten wagen.
Diese Befürchtungen hatte ich bei meinem Besuch bei „Abwasch!“ von Klaus Wührl nicht. Bayreuther Kabarett stellte ich mir genauso mittelmäßig vor wie Bayreuth an sich. Zwar liebenswert putzig, aber auch langweilig, träge, ignorant und beliebig. Schließlich bin ich aus genau diesen Gründen mit 18 aus dieser Kleinstadt mit 70.000 Einwohnern und einer Uni, die der Rest der Welt nur wegen der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg kennt, weggezogen. Nur Dank einer lapidaren facebook-Befreundung mit meinem damaligen Schultheaterkollegen Hannes Schott, der an dem Abend auch auftreten sollte, habe ich mir und meinen Eltern Karten zuschicken lassen.

Klaus Wührl sieht aus, wie ein Franke auszusehen hat. Mit Schnauzer, Brille, Hausmannschürze und Bier am Pult, ein bisschen gewollt altbacken und komisch. Das war aber auch das einzig typisch Fränkische. Seine seitenlangen Schachtelsätze strotzten vor Pointiertheit, schwarzem Humor und subversivem Gedankengut, welches sicherlich nicht jedem der über 200 Gäste an diesem Sonntag Abend schmeckte (das wiederum passte hervorragend zu den kalten Currywürsten und den zu lang frittierten Schnitzeln – aber bei einem ausverkauften Saal darf eine Küche auch mal überfordert sein).
Es ging nicht nur um lokalpolitische Idiotien, der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph erweiterte die Themen auf Deutschland-Niveau. Was im Kleinen scheiße ist, ist eben auch im Großen untragbar: Fehlgeschlagene Bauprojekte, utopische Beamtenbesoldung, eine unethische Immigrationspolitik, Vorspiegelung falscher Tatsachen, Ränkespiele und der Missbrauch von Steuergeldern sind eben keine Phänome, die nur „ganz oben“ passieren. Ein überzeugter Demokrat weiß, dass nichts von oben nach unten aufdoktriniert wird, sondern dass die Basis selbst für die (politische und gesellschaftliche) Misere verantwortlich ist. Vorwürfe gab es dafür nicht, nur kuriose Beispiele der Auswirkungen, wenn das Volk nicht „noschaut“ (dt.: „hinschaut“).
Klaus Wührl ist kein Journalist und finanziell unabhängig von den Medien. Dass er einen Doktortitel hat und eigentlich Marketingchef bei einer großen Bademoden-Marke ist, ist an diesem Abend überhaupt kein Thema. Er hat kein Bedürfnis, irgend jemanden nach dem Mund zu reden. Er beschimpft niemanden, er ist „nur“ bissig und seine eigene Selbstironie und die Proklamation seiner eigenen kleinen Schwächen machen ihn um so sympathischer. Er will sich eher dem allgemeinen Nachplappern entgegenstellen und dass sich seine Zuhörer mit einer gut argumentierten Gegenposition zu der omnipräsenten Meinungsmaschinerie auseinandersetzen. Das schafft er durch flammende Reden, optimaler Bühnenpräsenz und einer Animation, die jeden Mallorca-Animateur vor Neid hätte erblassen lassen. Ich meine: Da waren 200 waschechte Franken im Saal (plus zwei Dortmunder und eine Wahlberlinerin)! Die Franken machen sonst bei gar nichts mit. Aus Prinzip. Und laut Wührl sagen die nach dem gelungenen Beischlaf auch: „So etzat, hammas. Basst scho.“ Aber alle Besucher des Becher-Saals (stellt euch einen unspäktakulären, hellerleuchteten Wirtshaus-Großraum aus den 80ern vor mit türkisenen Wänden, braunbeigen Vorhängen, Eichen-Interieur und bronzenen Leuchtern) machten bei den Chorgesängen mit. Franken machen das sonst nicht. Die sind eher in-sich-gekehrt. Für mich war das um so überraschender, dass er Menschen – und selbst Franken – bewegen kann, ja es war geradezu eine Offenbarung.

Wobei Hannes Schott, der mittlerweile praktizierender Pfarrer in Bayreuth ist, „Offenbarung“ ganz anders definieren würde. Er stand mit seinem Pianisten und Gitarristen Stefan Haußner als „Zammbicht“ (dt.: „zusammengeklebt“) auf der Bühne. Zwischen den kabarettistischen Texten von dem „Hausmann“ Wührl waren ihre Lieder formvollendeter Lokalpatriotismus, herzergreifend witzige Adaptionen von christlichen Top-Themen (à la „Lazarus komm naus“) oder Persiflagen auf Schlagerstars. Den kreativen Oberhammer lieferte das Duo aber mit einem Lied, dessen Textzeilen durch Schlagwort-Zurufe aus dem Publikum entstand. In nur 15 Minuten bastelten sie aus zehn Begriffen einen in sich logischen, witzigen Songtext.
Obwohl ich Jesus für einen überaus klugen Mann halte, bin ich überzeugter Atheist. Trotzdem habe ich eine enorme Achtung vor Menschen, die für das, woran sie glauben, allumfassend einstehen und sich selbst dabei nicht zu wichtig nehmen. Hannes Schott ist auch Mitglied beim kirchlich bayerischen Pfarrkabarett „Das weißblaue Beffchen“ – zu ihm würde selbst ich in die Predigt gehen – nicht wegen des Unterhaltungswertes, sondern weil er etwas zu erzählen hat. Relevanz jenseits der Beliebigkeit fand ich schon immer essentiell. Wie man diese für sich selbst bewertet, bleibt ja jedem selbst überlassen.

In seiner Aussagekraft reiht sich Wührl ein in meine oben genannte Liste der Großen. Ich war sehr beeindruckt und über dreieinhalb Stunden großartig unterhalten. In den Berliner Wühlmäusen habe ich weitaus schlechtere Programme gesehen, die weitaus mehr unverdiente Publicity bekommen haben. Deshalb: Gehet hin zu den Kabarettisten eurer Stadt – die Kirche um die Ecke geht nach meiner jetzigen Erfahrung vielleicht auch 😉 –, es müssen nicht jene sein, die ihr aus dem Fernsehen kennt. Auch andere haben Wichtiges zu sagen und zumindest wenn ihr in Bayreuth zu „Abwasch!“ geht, kann ich euch versprechen, dass es grandios werden wird.

Webseite von Klaus Wührl „Der Hausmann“

Bericht vom 29.12.2013; Marion Alexa Müller im Becher-Saal Bayreuth.

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