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Sokrates auf der Buchmesse

Buchmesse Leipzig, Mär 2012

(Von Christoph Eydt) In seinem Buch „Sokratesk“ lässt Autor Christoph Eydt den antiken Philosophen Sokrates wiederauferstehen und auf verschiedene Menschen in unserer gegenwärtigen Gesellschaft los. Er beackert mit der sokratesken Hebammenkunst – also mit dem Fragen, bis dass der Becher einen scheidet – damit Themen und Befindlichkeiten unserer Zeit. Wenn wir gewusst hätten, dass die Buchmesse dieses Jahr nicht ausfällt, dann wäre dieses Kapitel auch im Buch:

Es war einmal ein Gelände im Osten der deutschen Lande, welches im Frühjahr stets zugestellt wird mit einer Ansammlung, Bündelung und Komprimierung von papier-, bild- und schriftgestützten Wissenstransportmitteln. In dieser Zeit, in der die Sonne noch kühl daherkommt und die Wolken dicht geschlossen sind, drängeln sich abertausende Menschen auf eben jenes Gelände, welches für einen kurzen Zeitraum in unendlich viele Königreiche zu zerfallen scheint. Ecken, Winkel, Flure, Podeste und Bühnen wechseln sich einander ab, mindestens in dem Maße wie Buchtitel, Schreihälse, Ideen, Postulate oder rhetorische Raketen.

Ein weißer weiser Mann betritt das Feld, seine Hände sind an seinem Rücken gekreuzt und wirken wie gefesselt von Knoten, die nicht zu sehen sind. Wenig staunend, fast schon ignorant wandelt er von Messestand zu Messestand. Er schaut hin ohne zu sehen. Was könnte er auch entdecken? Lohnt sich ein Hinsehen, wenn es am Schauen bereits scheitert? Dieser weiße weise Mann ist Sokrates und vielleicht deuten seine gekreuzten Hände auf etwas hin, was in diesen Momenten niemand auf der Buchmesse erahnen möchte, würde denn auf diese Weise nicht nur das Gelände augenblicklich verschwinden, sondern jeder Anspruch auf das, was Verleger oder Autoren bereit sind, mitzuteilen. 

Sokrates schaut gerade in die Ferne, vielleicht auf der Suche nach Essen, da wird er aus einer nahen Ecke heraus angesprochen, ob er denn Kulturbücher mag.

Sokrates: „Kulturbücher? – Ist dies nicht ein weißer Schimmel? Bücher sind doch Kulturgüter, oder? Wie kann es dann Kulturbücher geben? Oder meinen Sie Kulturkultur?“

Der (offenkundige) Verleger: „Nein, ich meine Bücher über Kultur.“

Sokrates: „Was wären denn Bücher über keine Kultur?“

Verleger: „Sie scheinen nicht wirklich interessiert zu sein, oder?“

Sokrates: „Woher wollen Sie das wissen? Ich frage mich nur, was Kulturbücher sein sollen, was Kultur überhaupt sein könnte.“

Verleger: „Naja, das ist ja erstmal nicht so wichtig. Gucken Sie mal hier, ich habe Bildbände über tolle Parkanlagen, über Architektur, über ganze Straßenzüge und natürliche Landschaften.“

Sokrates: „Und dennoch stehen Sie hier.“

Verleger: „Natürlich. Heutzutage muss man sich zeigen, wenn man was verkaufen will.“

Sokrates: „Warum wollen Sie etwas verkaufen?“

Verleger: „Damit ich weiter Bücher erstellen kann, die ich toll finde.“

Sokrates: „Nur das? Wenn dem so wäre, müssten sie doch nicht so herumschreien, oder?“

Verleger: „Ich bin schon ziemlich anerkannt. Meine Bücher verkaufen sich gut, man kennt mich hier, ich habe Preise gewonnen und sogar der Ministerpräsident hat mich ausgezeichnet.“

Sokrates: „Und?“

Verleger: „Ich will damit sagen, dass sich meine Arbeit auszahlt. Das finde ich gut. Meine Produkte haben eine hohe Qualität.“

Sokrates: „Auszahlen? Das klingt sehr berechnend, wie ich finde. Und es scheint, dass sie damit gar nicht Bücher machen, die toll sind, sondern die andere für gut befinden. Kann das sein?“

Verleger: „Nein, ich publiziere nur Bücher, hinter denen ich auch stehe.“

Sokrates: „Und wie kommen Sie hinter diese Bücher?“

Verleger: „Ich weiß nicht. Durch mein Gefühl, durch meine Erfahrung.“

Sokrates: „Wieso meinen Sie, dass es Ihre Gefühle oder Erfahrungen seien?“

Verleger: „Weil ich sie direkt wahrnehme.“

Sokrates: „Wenn Sie etwas wahrnehmen, nehmen Sie etwas. Man kann nur etwas nehmen, was nicht Teil von einem selbst ist, denn wäre es Teil von einem selbst, müsste man es nicht erst nehmen – oder ergreifen.“

Verleger: „Was hat das mit meinem Stand zu tun?“ Ich wollte Sie nur auf meine Werke aufmerksam machen.“

Sokrates: „Ja, wie ein Marktschreier biedern Sie sich an und beanspruchen vermeintliche Erfolge innerhalb eines Bereichs, den Sie vorschnell als Kultur bezeichnen.“

Verleger: „Sie begreifen nicht, worum es hier geht. Wir alle sind hier, weil es einmal eine tolle Tradition ist und weil es auch viel bringt, sich zu zeigen. Verleger und Autoren müssen an die Öffentlichkeit, müssen und wollen gesehen werden. Und das riesige Publikum zeigt doch, dass die Buchmesse ein voller Erfolg ist.“

Sokrates: „Wenn Sie Menge mit Erfolg gleichsetzen, will ich Ihnen gar nicht erst widersprechen, dass wäre bestenfalls erfolglos, also losgelöst vom Erfolg. Wenn Sie aber beobachten, dass alles innerhalb fester Konturen seinen Platz einnimmt, so muss ich fragen, ob das überhaupt noch Kultur sein kann, wenn man davon ausgeht, dass Kultur meinen könnte, etwas vom Menschen Geschaffenes.“

Verleger: „Ich weiß nicht, was das soll. Sie sind hier, um zu meckern.“

Sokrates: „Nein, allenfalls zur Beobachtung und Fragestellung. So ein buntes Treiben hat mich angeregt, dem nachzugehen, was hier so viele hintreibt.“

Verleger: „Und? Zu welcher Erkenntnis sind Sie gekommen?“

Sokrates: „Braucht es denn immer eine Erkenntnis? Ich sehe zumindest ein abgekartetes Spiel mit klarer Rollenverteilung, von daher nichts Spannendes, und auch nichts, womit man sich brüsten könnte.“

Verleger: „Dann gehen Sie mal weiter. Viel Spaß noch!“

Sokrates: Seien Sie gewiss: Ich werde erstmal untersuchen müssen, was Spaß sein könnte. Freude scheint es nicht zu sein. Wieso wünschen Sie mir also Spaß“

Verleger: „Alter Schwede! Aus Ihrem Geplapper könnte man ein ganzes Buch machen.“

Sokrates: „Ich weiß! Und das gibt es schon. Es heißt: Sokratesk.“

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