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Menschen brauchen andere Menschen

Silvia Klein - periplaneta

Ein Interview mit Silvia Klein.

Anfang 2020 ist Silvia Kleins Debüt-Roman „Nachts sind alle Gedanken grau“ in der Edition Periplaneta erschienen. Die junge Protagonistin Callie zieht nach Amsterdam, um ein Studium und neues Leben zu beginnen. Doch sie muss feststellen, dass es nicht so einfach ist, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Laura Alt hat mit Silvia Klein über psychische Krankheiten, die Lust am Reisen und Familie gesprochen.

Callie leidet unter Depressionen. Was müsste passieren, damit diese Krankheit nicht mehr stigmatisiert und offener darüber gesprochen wird?

S.K.: Da gibt es zwei Ebenen. Die eine ist eine strukturelle, politische, medizinische. Es ist unglaublich schwer, Hilfe zu bekommen, weil viele Ärzte nicht sensibilisiert sind, man über Monate auf Wartelisten für Psychotherapien steht, viele oft nicht wissen, an wen sie sich wenden müssen, um Hilfe zu bekommen, und was Depressionen sind. All das verstärkt noch einmal die Hemmungen, überhaupt darüber zu reden, wie man sich fühlt. Da brauchen wir dringend Veränderungen, mehr Informationen.
Die andere Ebene ist die persönliche. Da finde ich es wichtig zu reden und vor allem zuzuhören. Es ist ein unangenehmes Thema, keiner möchte, dass Menschen, die man gern hat, leiden. Aber Anzeichen zu ignorieren oder achtlos Ratschläge zu verteilen, löst das Problem nicht. Fragen zu stellen, sich Zeit für andere Menschen zu nehmen und die Erlebnisse und Emotionen anderer zu akzeptieren ist ein guter Anfang.

Wieso hast Du einen Roman über Depression geschrieben?

S.K.: In den letzten Jahren wurde das Thema psychische Gesundheit mehr und mehr in Literatur und Film thematisiert. Es gibt viele gute Darstellungen, leider auch viele einseitige und diskriminierende. Ich habe oft erlebt, dass Geschichten, die solche Themen einfühlsam und echt darstellen, unglaublich hilfreich für Betroffene sind. Psychische Krankheiten können sehr isolierend sein und Geschichten helfen dabei, sich weniger allein zu fühlen. Außerdem habe ich in gewisser Weise das Klischee bedient und das geschrieben, was ich gerne gelesen hätte. Dieser Roman ist keine Autobiographie, ich habe nicht das gleiche erlebt wie meine Charaktere, aber ich kenne viele der Gefühle, über die ich geschrieben habe.

Callie und ihre Freunde tun sich schwer, die Uni, den Nebenjob und ihre sozialen Kontakte unter einen Hut zu bringen. Geht es Dir genauso? Hast Du Tipps, wie man das alles stressfreier organisieren kann?

S.K.: Ich kann mich gut organisieren, aber ich neige auch dazu, zu viele Ideen zu haben, die ich alle gleichzeitig umsetzten will. Im Endeffekt müssen wir akzeptieren, dass jeder Tag nur 24 Stunden hat und man als Mensch nun mal genug Zeit für Schlaf, Essen, Trinken und Pausen braucht. Ich hatte oft das Gefühl, dass alle anderen mehr schaffen und darin besser sind als ich. Es hat sehr geholfen, mit Leuten offen darüber zu reden – denn in Wahrheit sind die meisten von uns überfordert und versuchen einfach ihr Bestes. Leider wird chronischer Stress in unserer Gesellschaft glorifiziert und wir sind uns nicht bewusst, wie gefährlich die Auswirkungen davon sein können.

Du hast Teile Deines Romans in Amsterdam geschrieben. Was hat Dir an der Stadt so gefallen, dass Du sie als Handlungsort gewählt hast?

S.K.: Ich glaube, das war einfach Timing. Zufällig war Amsterdam die erste Stadt, die ich alleine mit einer Freundin bereist habe. Nach dem Abitur sind wir wegen eines Konzerts nach Amsterdam gefahren. Dadurch sind damit viele Erinnerungen verknüpft. Außerdem gibt es dort wunderschöne Buchläden, eine entspannte Atmosphäre und es ist eine Stadt, die sogar im Regen schön ist. Als ich angefangen habe, das Buch zu schreiben, hatte ich noch keinen Handlungsort. Dann war ich in Amsterdam und dachte mir: „Das passt“. Ich finde es sowieso spannender, Geschichten an „fremden“ Orten spielen zu lassen.

Du warst gerade für ein Studiensemester in Spanien. Was hast Du dort über die deutsche Mentalität gelernt?

S.K.: Es haben sich hauptsächlich Dinge verfestigt, die ich schon wusste: Jedes andere europäische Land hat pünktlichere und weniger überfüllte Züge als die Deutsche Bahn, die Deutschen sind sehr förmlich, reserviert und beschweren sich gerne. Auf der anderen Seite sind hier viele administrative Dinge besser organisiert.

Weißt Du schon, wohin Du als nächstes reisen möchtest und wieso?

S.K.: Ich bin letztes Jahr viel geflogen, deswegen werde ich dieses Jahr auf dem Boden bleiben, da fällt schon einiges weg. Momentan stehen Griechenland und London ganz oben auf meiner Liste. Griechenland, weil ich dort zweimal mit der Schule war und das Land gerne noch einmal als Erwachsene erleben möchte. Und London, weil ich es nicht glauben kann, dass ich es dahin noch nicht geschafft habe – und mein nächstes Buch eventuell dort spielen wird.

Mehrere Deiner Protagonisten haben ein schwieriges Verhältnis zum Thema Familie. Brauchen Menschen Familie?

S.K.: Menschen brauchen andere Menschen. Ich schätzte es sehr, ein gutes Verhältnis zu meiner Familie zu haben. Man ist ähnlich aufgewachsen, kennt sich automatisch lange und Familienmitglieder können eine wichtige Stütze sein. Aber Familiendynamiken sind kompliziert und manchmal kann man der Familie nicht nahe sein. Ich bin auch ein großer Fan von Freundschaften und glaube, dass denen viel zu wenig Bedeutung gegeben wird. Dabei können auch außerhalb der Familie ganz besondere, enge Beziehungen entstehen.

Nicht ganz ernst gemeint: Wenn Du ein Krafttier hättest, was wäre Deines?

S.K.: Ich habe gerade einen Online-Test gemacht und der sagt: Ein Kojote. Wenn das im Internet steht, muss es schließlich stimmen. (Der Kojote soll übrigens Mut, Risikobereitschaft und Entscheidungskraft symbolisieren.)

Sind weitere Bücher in Planung?

S.K.: Ich habe immer Geschichten oder Charaktere im Kopf, beziehungsweise Gefühle oder Konzepte, über die ich beim Schreiben mehr herausfinden will. Was genau es als Nächstes auf Buchseiten schafft, probiere ich gerade aus.

Danke für das Interview.

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