Von Malte Kießler ist der Roman „WU-DANG — Von Jägern und Sammlern“ bei Periplaneta erschienen. – Es ist eine intensive, poetische Reise in die Alltagskultur eines sich wandelnden Chinas, eine Selbstfindungsgeschichte und zugleich ein Beziehungsdrama. Das Cover ziert eine Collage aus dem bekannten Gemälde „Travelers Among Mountains and Streams“ von Fan Kuan und einem Bild des modernen Shanghai, was auch das Spannungsfeld der Erzählung umreißt: Drei Freunde meistern ihr Expat-Leben im boomenden Shanghai, während die Abkehr von der klassischen Rollenteilung zum Krieg mit ihren Frauen führt. Jans Ehe ist bereits gescheitert. Er tröstet sich mit daoistischer Philosophie, aber als der Streit um seinen Sohn Miro eskaliert, sieht er sich mit heiklen Entscheidungen konfrontiert .
Dr. Malte Kießler hat selbst mehrere Jahre in Shanghai verbracht. Er lebt und arbeitet als Mediziner in Berlin. Die Buchpremiere von „Wu-Dang“ findet am 21.06.24 im Periplaneta Literaturcafé statt.
- Wu-Dang – Von Jägern und Sammlern12,99 € – 16,00 €
Abenteuer ohne Illusionen
Ein Roman, wie ein Abenteuerbuch geschrieben, das zum Schmökern verführt und sich durchgehend spannend liest. Nur, der abenteuerliche Romanheld sucht nicht nach neuen Entdeckungen oder Reichtümern, sondern ganz prosaisch nach einer Lösung für ein persönliches Problem – seiner Beziehungskrise. Damit setzt der Roman mitten im gewöhnlichen Alltag mit seinen bekannten Herausforderungen an und bietet für uns Leser den Identifikationspunkt, an dem wir mit dem Romanhelden fühlen und gespannt sind, wie sich die Geschichte entwickelt.
Der Grundkonflikt ist eine gescheiterte Ehe und der Streit um das Sorgerecht für den kleinen Sohn. Die Handlung spielt in den Lebensverhältnissen einer Gruppe von internationalen Expats, die in Schanghai arbeiten und leben, wobei sie sich ständig mit der chinesischen Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Noch sind die politischen Verhältnisse in dem kommunistischen Land erträglich, aber es ist auch eine letzte Phase, bevor die Diktatur die Repressionen anzieht.
Jan arbeitet schon einige Jahre als deutscher Arzt in China. Er lebt von seiner Frau getrennt, die ebenfalls als deutsche Expatriate in Shanghai arbeitet. Beide teilen sich die Betreuung des Sohnes, der einen Kindergarten besucht, fließend Deutsch, Englisch und Chinesisch spricht und von einer chinesischen Tagesmutter betreut wird. Die Entscheidung für den Einstieg in die Schule steht an und die Mutter des Jungen will die Gelegenheit der Einschulung nutzen, um wieder zurück nach Berlin zu ziehen. Jan muss sich nun entscheiden, ob er in China bleiben will oder auch nach Berlin gehen soll, um in der Nähe des geliebten Kindes bleiben zu können.
Diese Problemkonstellation grundiert die Stimmung des Romans, die sich in einer Desillusionierung ausdrückt. Auch im Freundes- und Kollegenkreis Jans gibt es viele Leute, die sich mit Beziehungsproblemen herumschlagen. Jan will zur Lösung seines Problems eine Pilgerreise unternehmen, die ihn zum Kloster Wu-Dang im zentralchinesischen Hochgebirge führen soll. Dort, in der meditativen Stimmung der daoistischen Klöster erhofft er sich Klarheit über seinen zukünftigen Weg zu erlangen. Die Romanstruktur ist wie eine laufende Uhr konstruiert, mit jedem Kapitel nähert sich der Zeitpunkt der Abreise nach Wu-Dang. Gleichzeitig steigt die Spannung, sich endlich einer Entscheidung zu nähern.
Während die Beziehungskrise als Grundthema den Roman durchzieht, entfaltet sich sozusagen ein Textkörper von reicher Fülle, der dem ganzen Buch sein Volumen gibt. Beobachtungen und Reflexionen über das Leben in China in allen Lebenslagen des Alltags in Shanghai werden wie Reportagen und Berichte notiert, aber immer aus persönlicher Sicht, ohne zum Reiseführer zu werden. Das ist spannend erzählt und auch informativ mit dem Gespür für die neugierige Erschließung einer immer wieder noch fremden Welt. Der Blick ist sehr präzise und sachlich, wie es sich für einen naturwissenschaftlichen Arzt gehört. Kleine Einblicke in die medizinische Tätigkeit werden auch gegeben, die zeigen, mit welchen manchmal banalen Erkrankungen der Doktor zu tun hat. Schließlich werden auch noch Einblicke in das soziale Leben der Auslandsexperten in ihrer Freizeit gegeben. Man trifft sich in Bars und konsumiert ziemlich viel Alkohol und Drogen. Die Gespräche kreisen um familiäre und Beziehungsthemen sowie um die beruflichen Situationen. Man spürt, da ist alles in Bewegung, Krisen, Pläne und neue Chancen werden gegeneinander aufgerechnet, es ist meist offen, wie es weitergehen wird. Aber Illusionen macht sich keiner mehr, die Grundhaltung ist nüchtern realistisch.
Vor allem die Liebe zum Kind und der Wille, um diese Beziehung zu kämpfen, zeigt den Weg, den der Vater gehen will. Um sich darin zu bestärken, pilgert er ganz profan mit dem Flugzeug, abenteuerlichen Busfahrten und einer Gondel zum Kloster auf dem heiligen Berg. Wird er Klarheit bekommen? Die Spannung bleibt bis zum Schluss uns Lesern erhalten und dann ist es sogar egal, ob sie sich wieder auflöst. Das ist wohl eine asiatische Denkfigur, die Kräfte nach allen Seiten anzuspannen und sie so in der Schwebe zu lassen. Das schafft Konzentration, Gelassenheit uns ist vielleicht ein guter Weg, die Alltagssorgen hinter sich zu lassen. So wird der Roman Wu-Dang von Malte Kießler zu einer meditativen Übung, sich dem Chaos im Leben zu stellen und die Sinne zu ordnen.
Ewald Schürmann