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Das Sterben der Idealisten

Holy Shit Dying

Uns erreichte vor drei Tagen eine schlimme Nachricht: Der legendäre Weihnachtsmarkt Holy Shit Shopping (in Berlin, Köln und Hamburg und ganzjährig im Netz) wird nach 20 Jahren eingestellt. Dieser Markt war bekannt für sein einzigartiges Konzept, das lokale Künstler, Designer, Handwerker und innovative Indie-Verlage wie den Periplaneta Verlag zusammenbrachte, um Geschenkesuchenden einzigartige Produkte anzubieten. Und das alles bei kultigen Klängen vom DJ-Pult.
Hier fand man Trashiges, Regionales, Unikate, liebevoll Gestaltetes, Originelles, Teures, Besonderes, Alternatives, Bio – eben alles, was üblicherweise nicht in Shopping Malls zu finden ist. Bewusster und nachhaltiger Konsum, sowie soziale Verantwortung waren die Leitlinien für die Initiatoren und Initiatorinnen von Holy Shit Shopping.

Nun haben die Organisatoren bekanntgegeben, dass sie die Veranstaltung aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten einstellen werden. Die CoViD-19-Pandemie habe den Markt hart getroffen, da er auf Interaktion und physische Präsenz angewiesen war. Letztendlich fehlte wohl auch “danach” die Resonanz der Geschenkesuchenden. Angst und Inflation, ick hör euch trapsen …

Wenn selbst solch ein etabliertes, engagiertes und innovatives Konzept in die Knie gezwungen wird, fragen wir uns als Verlag, wohin das mit der finanziellen Verwertbarkeit von (Indie)-Kulturgut gehen soll. Was sagt solch ein Lippenbekenntnis über die gesellschaftliche Akzeptanz von “alternativen Produkten” aus?

Als wir 2007 mit Periplaneta angefangen haben, gab es noch eine große Szene, die sich mit alternativen Inhalten auseinandergesetzt hat – weil man eben alternativ drauf war. Gegen das Establishment, gegen Gleichschaltung und Werbung, gegen Krieg, für Gleichberechtigung, für mehr Philosophie im Alltag, für Lebensmodelle jenseits des Mainstreams, mit einer Aufgeschlossenheit gegenüber Themen und Geschichten, mit denen man vorher noch nie in Berührung gekommen ist. Das sind unsere Wurzeln.
Doch in der Gesellschaft ist die Neugier über die letzten Jahre hinweg der Vorsicht gewichen. Man kauft und liest – wenn man noch liest – lieber Konformes, Bekanntes, Bewährtes.

Aber wir steuern gegen den Trend – nicht zuletzt mit der Verlagsarbeit. Und ja, wir müssen immer länger und mehr für den gleichen Ertrag arbeiten. Holy Shit Shopping ging es wohl ähnlich und sie haben die Reißleine gezogen. Wir finden das sehr sehr schade! Traurig geradezu, wir sind einmal mehr emotional betroffen, können es aber, wie schon bei einer ganzen Reihe weiterer stillschweigender Schließungen, durchaus nachvollziehen, weil wir die Umstände am eigenen Leib erfahren: Steigende Kosten, weniger Resonanz, mehr Bürokratie.

Wir als Verlag werfen die Flinte aber noch nicht ins Korn (darf man das heute angesichts des Krieges in der Ukraine eigentlich noch sagen?). Und wer weiß, vielleicht wird es tatsächlich auch in Deutschland irgendwann eine „strukturelle Verlagsförderung zum Erhalt der Bibliodiversität abseits des Mainstreams“ geben – die Ampelkoalition hatte sich das für ihre Legislaturperiode vorgenommen, aber dann kam so „das ein oder andere“ dazwischen …
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir bleiben trotzdem optimistisch.

Wir werden Holy Shit Shopping in guter Erinnerung behalten – es war schön, dort gewesen zu sein. Im Dezember 2023 hatten wir als Langzeitperformance unseren Mauerpark-Straßenpoeten Dan K. Sigurd mit am Buchstand, der an den zwei Tagen über 70 Gedichte auf seiner Schreibmaschine tippte. “Gib mir 3 Worte” – und innerhalb von 5 Minuten entstand ein sagenhaftes Gedicht nach dem anderen. Und der Buchverkauf war trotz der relativ geringen Besucherzahl durchaus gut! Es war eben ein kulturell interessiertes und aufgeschlossenes Publikum.

Wir wünschen dem Team von Holy Shit Shopping alles Gute, wir sagen Danke für die Orga und den tollen Support und trinken auf die Bestürzung ein Bier extra auf euch. Vielleicht findet sich noch ein Investor, der vor lauter Geld nicht weiß wohin, und womöglich gibt es ja doch ein Leben nach dem Tod?!

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